Monat: Mai 2022

Nachwehen

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Pietà, 1945

Nachwehen

„Das Ende des Krieges und des Hitlerreiches überstand ich. Und blieb in Schleswig-Holstein in Groß Wittensee, zunächst in einem Bauernhaus, das ich in meinem Bild ‚Die Reetdecker‘ festgehalten habe. Gemalt habe ich viel in dieser Zeit. Ich mußte es. Eine Pietà, Heimkehrer, dunkle Szenen, Nachwehen einer dunklen Zeit entstanden …“

Hier am Wittensee, in der Stille, in einer noch heilen Welt, in einer noch unzerstörten Natur, vibriert es in Carl Lambertz. Das Vergangene wirkt nach, ist wieder Gegenwart, es entfalten sich Bilder, Visionen, Gestalten. Zu tief brannten die Erlebnisse und Erfahrungen sich ein. Latent immer vorhanden, drängen sie zum Ausdruck, zum Bekenntnis.

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Heimkehrer, 1945

Die Situation der geistig und künstlerisch Schaffenden war 1945/46 schwierig, Eine Umstellung war nicht generell und schnell zu erwarten nach heldischer oder bürgerlicher Scheinwelt. Es gab wenige Ausnahmen.

 
 

„Hier aber scheiden sich unweigerlich sichtbar vor der Gemeinschaft des eigenen Volkes und vor einer Welt jene Kunstschaffenden, welche nach dieser Frist mit der Fortsetzung oder dem Niederschlag ihrer umfassenderen Lebensanschauung hervortreten, die es ihnen gestattet, Bekenner und ehrliche Darsteller dessen zu sein, was die Welt unserer Tage bewegt, ohne sich durch unvermittelten Konjunkturumschlag bloßstellen zu müssen.

Unter ihnen finden wir Künstler, deren Werkreife in diese Zeit fällt, deren geistige Entwicklung aber bereits einen organischen Weg aufweisen kann, der ihr Werk als geistiges Resultat heute rechtfertigt. Einen derselben … finden wir in dem Maler Carl Lambertz. Schon die Vertiefung in die Graphik kennzeichnet die Grundsätzlichkeit seiner Auseinandersetzung. Es ist, als bedürfe der Künstler vorerst einer Abkehr von der Malerei des Pinsels, um mit den sparsamen Mitteln von Schwarz und Weiß das Erlebte auf seinen Nenner zu bringen. Graphik, wie sie hier angetroffen wird, läßt keinen Raum für formale Umschweife.“ (Erich Feld)

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Unter dem Kreuz, 1945

Carl Lambertz knüpft an die beste Tradition deutscher Graphik an. In dem Bild „Unter dem Kreuz“ wird das ausgehende Mittelalter lebendig. Unter dem Fußpaar des Gekreuzigten – nur dieses wird sichtbar – würfeln die Figuren im Dreieck um die armselige Kleidung eines gequälten und zerbrochenen Menschen. Golgatha-Requisiten liegen im Vordergrund: Hammer, Lanze, Totenkopf, Gebeine, Schwamm. Die Würfelnden sind abschreckend häßlich dargestellt, grotesk, wie es auf den altdeutschen Tafeln üblich war. Der Realismus ist von großer Eindringlichkeit. Das zeitlose Thema setzt Zeichen der Zeit: Die bösartigen Köpfe, Menschenköpfe immerhin, offenbaren Un-Menschlichkeit.

 
 
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Unter der Eiche, 1945

Das ist Carl Lambertz, diese Köpfe sind seine Geburten, sie sollen sich später – zeitgemäß abgewandelt – zu gefährlichen Maschinenwesen, zu mechanischen Köpfen entwickeln. Diese endlich sind keiner menschlichen Regung, keiner Rührung im Sinne des Anrührens mehr fähig – Unmenschen unseres technischen Zeitalters. Unmenschlich ist auch der Mörder in der Zeichnung „Unter der Eiche“. Der Ungeist, die Entartung jener Jahre im zeitlosen Thema Mord, Rache, Vergeltung tritt wieder im altmeisterlichen Gewand auf – mit modernen phantastischen Realismen. Der Galgen ist bereit; das Antlitz des Rächers oder der Gerechtigkeit wird oben in der Astgabel sichtbar.

 
 

Jedes weitere Blatt dieser Folge ist vom Zeitgeist und der Auseinandersetzung mit ihm bestimmt. Die Assoziation der erlebten Wirklichkeit ist deutlich.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 26, 28 f, 32; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

 
 
  • Pietà

Ein Heldenepos

Ein Heldenepos

Saint-Nazaire

Es kam die Zeit, wo man an vielen Geschehnissen merkte, daß der Krieg für die Nazis schwieriger wurde, gewaltige Menschenopfer forderte und nicht mehr zu gewinnen war.

Kapitän Mecke wurde zur Küsten- und Kriegshafenstadt Saint-Nazaire in Frankreich kommandiert. Kaum war er da, kamen die Engländer mit Schnellbooten und Zerstörern in die Anlagen des Kriegshafens und in das umliegende Gebiet.

Es muß eine schreckliche Schlacht gewesen sein. Kapitän Mecke wurde als Sieger gefeiert. Er forderte mich auf, nach Saint-Nazaire zu kommen und diese Schlacht zu malen. So fuhr ich als Obergefreiter mit Malmaterial und Zeichenstiften nach Saint-Nazaire.

Auch hier wieder das gleiche Ritual wie in Eckernförde. Ich fühlte mich als Hofmaler und vollkommen deplaziert. Ich wurde von manchem Unteroffizier angeranzt: „Wenn Sie denken, daß Sie etwas Besonderes sind, so irren Sie sich sehr!“

In der O-Messe residierte wie in Eckernförde Kapitän Mecke, und man merkte ihm an, daß er sich als Sieger einer Schlacht fühlte. Hier gab es noch mehr U-Boot-Offiziere als in Eckernförde, denen ich anzusehen glaubte, daß es für sie keine Wiederkehr gab. Ihre U-Boot-Nester, viele Meter dicke Betonmauern und -decken, waren zum Atlantik hin geöffnet.

Das Essen in der O-Messe war sehr französisch. Als Bedienung waren auch Französinnen dabei. Auf den Tellern lagen große, rote Hummer, die ich nicht mochte, mit entsprechenden Beilagen – klitzekleine Frühkartoffeln mit der Schale gebraten. Kapitän Mecke deutete auf die Serviererin und sagte über den Tisch hinweg zu mir: „Ist sie nicht hübsch und voller Anmut? Eine echte Französin. Da muß ihr Malerauge sich doch freuen.“ Ich dachte, sie würde in ein Bild von Renoir passen.

Kapitän Mecke erklärte mir die Landung der Engländer im Kriegshafen und den Kampf. Die Annäherung hatte man kaum bemerkt, sie waren plötzlich da. Als Mecke mir dieses Inferno schilderte, hatte ich schreckliche Kopfschmerzen, so als ob das Feuer und die Explosionen in meinem Kopf stattfänden. Trotzdem mußte ich ihm genau zuhören, um mir ein Bild zu machen. Ich fühlte mich mißbraucht als Kriegsberichterstatter.

Er erzählte mir grausame Einzelheiten. Die Marineartillerie dort – ähnlich kriegsunerfahren wie in Eckernförde – war bei der Landung der Engländer total verwirrt. Die Soldaten schossen auf alles, was sich bewegte, verletzten und töteten sich oft gegenseitig.

Im Gewirr der Hafenanlagen richteten die Engländer mit ihren Haftbomben großen Schaden an. Ein alter englischer Zerstörer kam bis tief in die Schleusenanlagen hinein und zertrümmerte ein Schleusentor. Dieser Zerstörer wurde nach der Schlacht ein Besichtigungsobjekt für deutsche Offiziere und Soldaten. So befanden sich Hunderte von deutschen Marinesoldaten auf diesem Schiff, als es explodierte. Es war eine Zeitbombe, von den Engländern angebracht. Nach Wochen fischte man immer noch die Leichen aus dem Atlantik. Sie lagen weiß und verquollen auf den Rampen des Kriegshafens.

Der Rückzug war wohl für die Engländer das schwierigste Problem. Jetzt schössen die Deutschen mit ihrer Flak die englischen Boote in Brand. Es muß die Hölle gewesen sein.

Ein Tommy hatte sich aus den Flammen in Todesangst bis zur höchsten Spitze des Mastes gerettet, wurde aber doch – was nicht nötig war – in der Erregung abgeschossen. Aus dieser Episode machte ich eine Kohlezeichnung. Auf der Darstellung war er eine Kreatur geworden, die in schrecklicher Todesnot war – und kein Feind mehr.

Nach den Angaben von Kapitän Mecke und anderen Soldaten fertigte ich viele Skizzen an, die dann später in Eckernförde zu einem großen heroischen Schinken verarbeitet werden sollten. Diese Art, den Krieg zu verherrlichen, lag mir überhaupt nicht.

Nach Eckernförde zurückgekehrt, kaufte ich die größte Sperrholzplatte, die ich bekommen konnte, grundierte sie und bereitete den Malgrund für das „Heldenepos“ vor. Im Zeichensaal der Jungmannschule in Eckernförde habe ich angefangen, das Bild zu malen. Weil ein Zeichenlehrer fehlte, gab ich zu dieser Zeit auch Unterricht in Kunst.

Schüler und Schülerinnen aus jener Zeit besuchten mich später öfter in meinem Atelier. Sie begrüßten mich meistens mit den Worten: „Sie waren damals mein Zeichenlehrer. Ich weiß noch genau, Sie malten an einem großen Bild, der Schlacht von Saint-Nazaire. Meistens machten Sie mit den Händen und Armen große Gebärden dazu. Ihre Stimme bekam dann oft einen patriotischen Unterton.“

Ich konnte nicht unterscheiden, ob dies noch patriotische Reste von damals waren oder ob sie mir mit dieser Erinnerung eine Freude machen wollten.

Obwohl de Poel seine Fähnchen an der Ostfront weiter nach Westen steckte, schob sich das Ende des Krieges doch dramatisch mit hohen Verlusten hinaus. Ich hoffte im geheimen, dieses Bild nicht fertig malen zu müssen, und begann die Arbeit lustlos mit vielen Kunstpausen. Aber Kapitän Mecke erhielt das Ritterkreuz und ließ melden, daß er in Kürze nach Eckernförde käme, um sich und seine militärischen Leistungen in der Schlacht von Saint-Nazaire in einem heroischen Gemälde wiederzufinden.

Im Vordergrund eine große Figur, ein verzweifelt kämpfender Soldat. Dieser Soldat kam mir vor wie ein Selbstbildnis, gegen das eigene Bild kämpfend. Im Hintergrund das Inferno der brennenden Hafenanlagen und der englischen Schnellboote, und dazwischen vor dem Rot der Flammen silhouettenartig dunkle Kampfszenen.

Nun brauchte ich ein Modell für die Hauptfigur. Ein junger Soldat wurde mir dafür zugeteilt. Das Unsoldatische, das ich aus Erkenntnis in mir hatte, zeigte sich bei ihm in einer hölzernen Bewegungslosigkeit.

Überhaupt war ich in einem schrecklichen Dilemma. Ich war als Wehrunwürdiger wehrwürdig gemacht worden von diesen bürokratischen Inquisitoren, deren Gestapobespitzelung mich zu dieser Zeit noch in Angst hielt und die die Mörder meiner geliebten Freunde waren. Ich dachte auch an die vielen Leiden in den Gefängnissen und Konzentrationslagern und an die, die hingerichtet wurden, nur weil sie den Krieg verhindern wollten, und nun sollte ich mit diesem Bild auch noch diesen Krieg, das Menschenschlachten der Nazis, glorifizieren.

Ich wußte, daß ich jetzt etwas malen mußte, und zwar schnell. Mein hölzernes, unsoldatisches Modell trieb mich zur Verzweiflung. Mein künstlerischer Ehrgeiz, mein Selbsterhaltungstrieb und die Achtung vor Kapitän Mecke wurden zur Triebkraft, das Bild doch zu malen. Jetzt war ich selbst in die Situation geraten, weswegen ich Kollegen verachtet hatte, die für die Nazis Bilder malten.

In dieser letzten Phase des Krieges, in der viele allmählich merkten, daß Deutschland verlor, herrschten Angst, Haß, Unvernunft und gegenseitiges Mißtrauen, als ob man in dieser Endphase Schuldige finden müßte. Wehe dem, der seinen Pessimismus zu laut offenbarte!

Ich untermalte das Bild in großen, farbigen Flächen und zeichnete mit Holzkohle die Figur und das dramatische Geschehen in die nasse Ölfarbe hinein.

Während meiner Arbeit befand ich mich in einem schlechten Zustand, den ich keinem Militärarzt anvertrauen durfte. Ich hatte wieder einen fiebernden, schmerzenden Kopf, dachte an Harald und wünschte, er könnte mir helfen.

Ich malte gerade den Schatten des Helms auf der Stirn des kämpfenden Soldaten. Ich mußte den Arm recht hochheben, um den Pinsel mit gebrannter Umbra anzusetzen. Da erhielt ich zwei mächtige Schläge – wie Stromschläge – auf beide Hände. Zuerst flog der Pinsel aus meiner rechten Hand im Bogen davon, und dann fiel aus der linken die Palette vor meine Füße auf den Boden.

Ich hob die Palette auf, und die weiche Ölfarbe, gemischt mit dem Öl aus dem Palettstecher, hatte sich wie zu einer Monotypie auf dem Fußboden ausgebreitet. Die Farben ergaben das Bild eines zerquetschten, braunen Käfers, der auf dem Rücken lag und im blendenden Licht des Zeichensaales, im Glanz der schimmernden Lache des Leinöls, noch mit den Beinen strampelte. Ich dachte: Putz das nicht weg, laß es als Menetekel stehen. Und so lag das fiese Untier noch lange Zeit sichtbar auf dem Boden des Zeichensaales der Jungmannschule in Eckernförde.

Kinderwindrad

Ich zeigte den Schülern, wie man Aquarellfarbe mit viel Wasser im Pinsel verlaufen lassen kann, von kräftigster Farbigkeit bis zur zartesten Duftigkeit. Da rief mich eine zaghafte Jungenstimme: „Herr Lambertz!“ Er sagte nichts, zeigte aber mit dem Finger auf das große Bild.

Der kämpfende Soldat im Vordergrund, der mit der rechten Hand eine Handgranate schleudern sollte, hielt nun ein kleines Kinderwindrad, das sich beim Laufen oder Anblasen im Wind dreht, in der Hand. Die Flügel hatten die Farben der schleswig-holsteinischen Fahne: Blau-Weiß-Rot. Dieses Rad war flott und gekonnt gemalt. Ich dachte gleich: Das hat ein tüchtiger Schüler gemacht. Auch die Hand, die den dünnen Stiel des Rades umfaßte, war neu gezeichnet und anatomisch richtig. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich das unbewußt selbst gemalt hatte, und ob ich so verwirrt war, daß ich das nicht mehr wußte?

Ich fragte mehrmals die ganze Klasse, wer dieses Windrad gemalt habe und versprach sogar eine Belohnung, weil es richtig und gut dargestellt war und mir gefiel. Ich betrachtete die Schüler und sah in ihren Augen, daß keiner von ihnen dieses spielerische Friedenszeichen gezeichnet haben konnte.

Ich wußte, daß ich dieses Symbol wegwischen mußte, und nahm dafür den Tafellappen. Das Gemalte war noch frisch und ließ sich leicht entfernen.

Nach vielen Jahren erhielt ich Besuch von einem älteren Herrn aus Eckernförde. Er hieß Hinrich Lausen und war bei der Finanzbehörde tätig. Er sagte, er könne sich noch an das Windrad auf dem Kriegsbild erinnern, und ob ich nun wisse, wie es auf das Bild gekommen sei.

Ich fragte erstaunt: „Daran können Sie sich noch erinnern? Waren Sie das etwa?“

„Nein“, sagte er, „ich war in der Klasse immer einer der Schlechtesten im Malen.“

Mecke

Kapitän Mecke war da, ich erfuhr es auf der Ückernburg. Bei seiner Betrachtung des Bildes war ich nicht zugegen, aber ein großer Anhang von Offizieren. Der Kapitän soll nichts gesagt, sondern nur genickt haben. So wagten seine Offiziere auch nicht, etwas Positives oder Negatives zu äußern.

Von der Jungmannschule aus ging er in einer Art Triumphzug mitten über die Kieler Straße in Richtung Ückernburg. Ein kühler, kräftiger Wind ließ den langen, geöffneten Militärmantel wie zwei Flügel wehen. Sein Stolz, das Ritterkreuz an seinem Halse, war nun von allen deutlich zu sehen.

Seine stolze Freude wurde getrübt durch den Befehl, in geheimer Mission an die Ostfront in einen der baltischen Staaten zu reisen, um Pläne des Oberkommandos zu verwirklichen. Dort wurde er von den Russen gefangengenommen.

Als ich davon hörte, dachte ich an das vorweggenommene Jubel- und Siegesfest auf der Ückernburg, als der Krieg mit Rußland begann.

Nach seiner Entlassung aus der russischen Gefangenschaft besuchte Mecke mich in Groß Wittensee. Obwohl er mit zu meinen Schutzengeln gehörte und kein Nazi war, kam ein richtig freundschaftlicher Kontakt, den ich wohl gewollt hätte, nicht zustande. Sein Wesen ließ dies nicht zu.

Damals nahm ich einen Behälter mit Aceton und goß den Inhalt auf die große Bildplatte. Der kämpfende Soldat und das Kampfgewühl mit der brennenden Stadt und den Schiffen im Hintergrund begannen sich sofort aufzulösen. Es entstanden große Farbplacken wie Inseln, die sich auf der Acetonbrühe drehten und bewegten wie auf einem Meer, wo bei einer neuen Schöpfung neue Welten entstehen.

Ich glaubte, die alten Grenzen Deutschlands zu erkennen. Die lösten sich aber weiter auf, und es entstanden neue und kleinere Gebilde wie auf einer neuen Landkarte. Ich sah fasziniert auf die Metamorphosen.

Ich ahnte, daß ich und das Bild betrachtet wurden. Ich wollte meinen Blick nicht erheben, tat es aber nach einiger Zeit doch. Da standen Harald Quedenfeld und sein Freund Willi Schürmann-Horster wie in einer phosphoreszierenden, schimmernden Lichtsäule.

Harald hatte beide Hände, mit den Handflächen zu mir gewandt, in Schulterhöhe gehoben wie zu einer frommen Gebärde. Willi Schürmann-Horsters Kopf schwebte ein kleines Stück über seinen Schultern – wie zum Zeichen seiner Hinrichtung. Seine schauspielerischen Bewegungen, die er früher hatte, waren wie bei einer Statue erstarrt.

Da standen nun meine beiden Freunde – und das im Zeichensaal der Jungmannschule in Eckernförde. Ich spürte, welche Kraft von ihnen ausging, die Schicksale der Lebenden zu lenken. Gleichzeitig sah ich in Gedanken die vielen zu Unrecht Geköpften, Ermordeten, Gequälten und Verbrannten. Ich wußte, daß sie die geheime Kraft hatten, verbrecherisches Unrecht zu sühnen.

Ich sah weit zurück in die Vergangenheit der Menschheit, sah große Kulturen durch Kriege zerstört, sah, wie der Sand der Wüsten über alles hinwegwehte, es verdeckte, und wie alles Vergangenheit wurde – alle Kriege, alle Siege.

Carl Lambertz

Aus: Schmetterling, warum trägst Du Schwarz? Autobiographische Skizzen, 1993, S. 162-169.

Neue Sachlichkeit

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Armes Mädchen, 1936

Neue Sachlichkeit

Die an der Kunstakademie Düsseldorf gelehrte „Neue Sachlichkeit“ beeindruckte den jungen Carl Lambertz.

„Die Akademie nahm mich 1936 auf – ohne polizeiliches Führungszeugnis, man vergaß es. Die Situation war auch hier schwierig, denn eine ganze Reihe von Malern und Lehrern hatte sich sehr schnell angepaßt, vor allem ‚Ziegenhannes‘ (er malte gerne Ziegen, pflügende Bauern, Blut und Boden). Dieser ranzte mich an, warum ich nicht mit ‚Heil Hitler‘ grüßte. Ich erzählte meine Geschichte Professor Heuser, dem Demokraten, Antinazi und Menschen. Bei ihm konnte ich mein Probesemester machen, das gut beurteilt wurde. Ich machte Entwürfe zum ‚Kleinen und großen Klaus‚ nach der Erzählung von H. C. Andersen, malte und zeichnete Land­schaften, hauptsächlich aber Figuren, Akte, Köpfe, akademisch durchgearbeitet. Daneben gelangen tonige, malerische Arbei­ten und Pastelle.“

Carl Lambertz arbeitete in Düsseldorf, der Stadt, in der einige Jahre auch Otto Dix malte. Er war es, der dem jungen Maler Genauigkeit, Sachlichkeit, ja jene Über-Präzision, jenen Hang zur strengen Form, zur minutiösen Ausführung vermittelte.

 
 

Klara aus der Ritterstraße stand Modell und wurde von der Kunstakademie Düsseldorf mit 92 Pfennigen die Stunde bezahlt. Die Ritterstraße, in der meistens arme Leute wohnten, ist eine Straße in der Altstadt, direkt neben der Akademie. Auch Klara war ein Mädchen aus einer armen, kinderreichen Familie. Ein Stück Apfelsine, das ich ihr des Morgens gab, hielt sie mittags noch in den Händen, vertrocknet! ,Warum hast du das Stück Apfelsine nicht gegessen?‘ Antwort: ‚Für Köbi.‘ Sie hatte es verwahrt für ihren kleinen Bruder Jakob. Dieses Bild malte ich im zweiten Semester Herbst 1936 in der Düsseldorfer Kunstakademie.“

Carl Lambertz, in: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 26.

Sah Carl Lambertz die Bilder, die „Mutter Ey„, die bekannte Förderin junger Künstler und Wegbereiterin der modernen Kunst in Düsseldorf, in ihren Schaufenstern ausstellte, sprang er spontan von der fahrenden Straßenbahn, um fasziniert vor der damaligen Avantgarde zu stehen: Gert Wollheim, Champi(gn)on, Trillhase, Karlchen Schwesig, Otto Pankok und eben jener frühe Dix mit seinen sozialkritischen Verismen. Dix bedeutete für Carl Lambertz die Schule der Exaktheit („Bildnis der Eltern“).

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 24, 37, 39; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder. Siehe dazu: Carl Lambertz, Schmetterling, warum trägst Du Schwarz? Autobiografische Skizzen, 1993, S. 96, 101-104.

Bedrohliche Zeiten

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Reitet für Deutschland, 1934

Bedrohliche Zeiten

„Ich lernte Freunde kennen, die mir halfen, die mich aber auch in Anschauung und Lebensart verwirrten. Dazu kam die Nazizeit, die 1930 aktiv begann mit Aufmärschen, Rivalitäten, Krawall. Ich weiß noch, daß ich mich sehr ärgerte, wenn in der Presse von den großen Demonstrationen der Arbeitslosen, der Hungernden, der Sozialisten kaum Kenntnis genommen wurde.

Die Nazis wurden immer brutaler. 1933 waren sie an der Macht. Eine Protestzeitung wurde gegründet. Ich begann, für diese Zeitung Zeichnungen mit politischen Themen zu machen. Das ging so bis 1935. Als kein Druck mehr möglich war, wurden Flugblätter in Handabzügen in meinem Atelier hergestellt.

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Männer mit Masken, 1943

Man verriet mich, ich wurde verhaftet. Sechzehn von unserer Widerstandsgruppe, von den Protestlern und Sozialisten, die wir waren, kamen um, wurden mißhandelt, ermordet, hingerichtet. Ich wurde oft zusammengeschlagen, aber meine Sturheit rettete mich. Ich gab nichts zu. Eine schreckliche Situation. Ich leide noch unter diesem Erlebnis. Ein Albtraum, der mich bis heute zwischen Traum und Wachsein überfällt.

Dreieinhalb Jahre Zuchthaus wurden beantragt. Ich spielte den Verrückten. Viel brauchte es auch nicht mehr dazu. Die Geisteskrankenabteilung des Klingelpütz in Köln nahm mich auf zur Untersuchung. Wenn ich das noch einmal beschreiben müßte, wie es dort zuging, müßte ich erneut um meinen Zustand fürchten.

Wieder und wieder Gestapoverhöre, knarrende Stiefel, Zuknallen von Eisentüren – ich war jung, hatte Wut auf die Nazis und hielt auch hier meinen Mund nicht immer, und es gab dann besondere Schwierigkeiten. Schließlich sah man doch wohl den unzurechnungsfähigen Künstler in mir und die ganze Sache als nicht so schlimm an – oder weshalb auch immer, ich konnte gehen … Aber die große Angst blieb, bis Kriegsschluß – auch als Soldat wurde ich immer überwacht. Ein Leben hinter Masken.“

Masken weisen auf die späteren starren, ornamentalen Köpfe seiner Kirmesfiguren – in ihnen zeigt sich früh die Lust am Skurrilen und der doppelsinnig trauernde Humor.

  • Reitet für Deutschland, 1934

Niederrheinstudien

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Landschaft mit Blauer Karre, 1932

Niederrheinstudien

„Jede freie Zeit, die mir blieb, zeichnete und malte ich wie besessen. Das Niederrheingebiet hatte es mir angetan, eine Landschaft, die ich sehr liebte, an die ich mich immer wieder erinnere, wenn ich heute in der Wittenseelandschaft umherstreife. Ich zeichnete Bäuerinnen mit Schubkarren, einsame Felder mit Weidenbäumen und -stümpfen an kleinen Bachläufen, rastende Erntearbeiter.

Sehr gern wanderte ich an der Erft entlang – Gemüsegärten, Beete, Bäume, Gehöfte, Schuppen, Zäune zeichnete ich mit Kreide, mit Kohle oder mit dem Bleistift. Vor allem hatten es mir die geometrischen Felder, kleine und große, angetan, die in allen Gemüsefarben bepunktet waren.“

 
 
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Obstkarren in Düsseldorf, 1934

Carl Lambertz

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 20; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

Niederrheinstudien – © 2013 Atelier Lambertz-Reese

 
 
  • Landschaft mit blauer Karre

Techn. Zeichner und Kirchenmaler

Technischer Zeichner und Kirchenmaler

Der Zeichenlehrer hatte Carls künstlerische Begabung erkannt und seiner Mutter und Großmutter geraten, den Jungen technischer Zeichner oder Drucker werden zu lassen. So fing er nach der Schulzeit bei der Firma Phönix, einem Röhrenwerk, als technischer Zeichner an. Die Ausbildung endete mit dem „kölschen Johr“. Ein „kölsches Johr“ sind vierzehn Tage Arbeit, Lohn, Entlassung.

Mit diesem ersten Gehalt kaufte Carl Naturalien für die Familie. Niemand nahm den Vorfall tragisch. „Da hast du ja ein ‚kölsches Johr‘ gemacht“, sagte seine Mutter und lachte. Eine neue Lehrstelle als Kirchenmaler wurde gefunden, und diese Arbeit machte Carl mehr Spaß. Hier erlernte er noch die traditionellen alten Handwerkstechniken, die ihm später als freischaffendem Künstler sehr nützlich werden sollten.

„Mit dem kölschen Johr ging mein technischer Beruf zu Ende. Nun sollte ich Dekorationsmaler werden. Durch Zufall kam ich an eine Firma, die auch Kirchenmalerei betrieb. Aber auch Kinos wurden damals in expressiv-dekorativem Stil mit künstlerischem Anspruch ausgemalt. Da mußten Pflanzenornamente gemalt werden, Paneele, Verzierungen jeder Art. Leider war ich so tüchtig, daß ich einfach nicht zur Ausbildung ins Atelier kam, sondern gleich in die Praxis und dort auch blieb. Und doch lernte ich auch ohne Atelier eine Menge; schließlich avancierte ich vom Gehilfen zum Gesellen nach dreieinhalbjähriger Lehrzeit bei der Firma Dortmann & Fitz. Aber ich wollte unbedingt Maler werden, richtiger Bildermaler, und begann Niederrheinstudien zu machen, nachdem ich ziemlich schnell einen Van-Gogh-Expressionismus überwunden hatte. Ich benutzte auch große Leinwände für strenge Kompositionen.

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Kirchgang an einem Regentag, 1928

Zur Wandmalerei, zu ihrer Monumentalität, ihrem Anspruch, den Gesetzen der Wand untertan zu sein, hatte ich schon immer eine Neigung gehabt. Der Leiter der Akademie, Professor Fahrenkamp, sagte später immer wieder: ‚Sie müssen unbedingt an die Wand, Sie müssen an die Wand!‘ Fahrenkamp kaufte auch sehr früh Bilder von mir. Die Strenge gefiel ihm, und die figürlichen Kompositionen waren ‚wandmäßig‘ trotz Plastizität und Räumlichkeit.

Jedenfalls lernte ich das Handwerkliche gut. Nur hatte diese Zeit zu lange gedauert. Ich war zu ängstlich, um zur Akademie zu gehen, weil ich nicht wußte, ob das, was ich konnte, ausreichen würde. Ich hatte ja keinen Förderer. Die handwerkliche Beherrschung des Metiers war aber eine Voraussetzung für die Akademie. Und da diese bei den Akademiejüngern oft nicht gegeben war, konnte ich später daraus Nutzen ziehen, dachte ich.

Zunächst mietete ich aber ein Atelier und arbeitete für mich. Dort sind die kleinen Landschaften entstanden, die ich gerettet habe. Einige Freundschaften gaben mir Halt und Mut, allein weiterzumachen. Man bedenke: Es war eine ganz furchtbare Zeit, nur wenige kauften Bilder, es gab große Not, die Arbeitslosigkeit war verheerend und die Wirtschaftskrise von unvorstellbarem Ausmaß. Ich ging stempeln und meinte, die Zeit kannst du nutzen zum Malen und zur Ausbildung. Daneben nahm ich alle Arbeiten an, die ich bekommen konnte, setzte Glasscheiben in Fenster ein, schrieb Schilder und war Anstreicher und Tapezierer. Von dem Verdienst kaufte ich Farben und konnte recht und schlecht leben. Eine große Hilfe war für mich der Düsseldorfer Kunstverein, der meine liebsten Bilder ausstellte und verkaufte.“

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 16, 18.

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