Nachwehen

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Pietà, 1945

Nachwehen

„Das Ende des Krieges und des Hitlerreiches überstand ich. Und blieb in Schleswig-Holstein in Groß Wittensee, zunächst in einem Bauernhaus, das ich in meinem Bild ‚Die Reetdecker‘ festgehalten habe. Gemalt habe ich viel in dieser Zeit. Ich mußte es. Eine Pietà, Heimkehrer, dunkle Szenen, Nachwehen einer dunklen Zeit entstanden …“

Hier am Wittensee, in der Stille, in einer noch heilen Welt, in einer noch unzerstörten Natur, vibriert es in Carl Lambertz. Das Vergangene wirkt nach, ist wieder Gegenwart, es entfalten sich Bilder, Visionen, Gestalten. Zu tief brannten die Erlebnisse und Erfahrungen sich ein. Latent immer vorhanden, drängen sie zum Ausdruck, zum Bekenntnis.

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Heimkehrer, 1945

Die Situation der geistig und künstlerisch Schaffenden war 1945/46 schwierig, Eine Umstellung war nicht generell und schnell zu erwarten nach heldischer oder bürgerlicher Scheinwelt. Es gab wenige Ausnahmen.

 
 

„Hier aber scheiden sich unweigerlich sichtbar vor der Gemeinschaft des eigenen Volkes und vor einer Welt jene Kunstschaffenden, welche nach dieser Frist mit der Fortsetzung oder dem Niederschlag ihrer umfassenderen Lebensanschauung hervortreten, die es ihnen gestattet, Bekenner und ehrliche Darsteller dessen zu sein, was die Welt unserer Tage bewegt, ohne sich durch unvermittelten Konjunkturumschlag bloßstellen zu müssen.

Unter ihnen finden wir Künstler, deren Werkreife in diese Zeit fällt, deren geistige Entwicklung aber bereits einen organischen Weg aufweisen kann, der ihr Werk als geistiges Resultat heute rechtfertigt. Einen derselben … finden wir in dem Maler Carl Lambertz. Schon die Vertiefung in die Graphik kennzeichnet die Grundsätzlichkeit seiner Auseinandersetzung. Es ist, als bedürfe der Künstler vorerst einer Abkehr von der Malerei des Pinsels, um mit den sparsamen Mitteln von Schwarz und Weiß das Erlebte auf seinen Nenner zu bringen. Graphik, wie sie hier angetroffen wird, läßt keinen Raum für formale Umschweife.“ (Erich Feld)

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Unter dem Kreuz, 1945

Carl Lambertz knüpft an die beste Tradition deutscher Graphik an. In dem Bild „Unter dem Kreuz“ wird das ausgehende Mittelalter lebendig. Unter dem Fußpaar des Gekreuzigten – nur dieses wird sichtbar – würfeln die Figuren im Dreieck um die armselige Kleidung eines gequälten und zerbrochenen Menschen. Golgatha-Requisiten liegen im Vordergrund: Hammer, Lanze, Totenkopf, Gebeine, Schwamm. Die Würfelnden sind abschreckend häßlich dargestellt, grotesk, wie es auf den altdeutschen Tafeln üblich war. Der Realismus ist von großer Eindringlichkeit. Das zeitlose Thema setzt Zeichen der Zeit: Die bösartigen Köpfe, Menschenköpfe immerhin, offenbaren Un-Menschlichkeit.

 
 
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Unter der Eiche, 1945

Das ist Carl Lambertz, diese Köpfe sind seine Geburten, sie sollen sich später – zeitgemäß abgewandelt – zu gefährlichen Maschinenwesen, zu mechanischen Köpfen entwickeln. Diese endlich sind keiner menschlichen Regung, keiner Rührung im Sinne des Anrührens mehr fähig – Unmenschen unseres technischen Zeitalters. Unmenschlich ist auch der Mörder in der Zeichnung „Unter der Eiche“. Der Ungeist, die Entartung jener Jahre im zeitlosen Thema Mord, Rache, Vergeltung tritt wieder im altmeisterlichen Gewand auf – mit modernen phantastischen Realismen. Der Galgen ist bereit; das Antlitz des Rächers oder der Gerechtigkeit wird oben in der Astgabel sichtbar.

 
 

Jedes weitere Blatt dieser Folge ist vom Zeitgeist und der Auseinandersetzung mit ihm bestimmt. Die Assoziation der erlebten Wirklichkeit ist deutlich.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 26, 28 f, 32; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

 
 
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