Das Wesen Klang

Das Wesen Klang sichtbar machen

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Cellospielerin, 1936/37

Carl Lambertz, der Bild- und Klang-Töner vom Wittensee

Früh begann für den heutigen Altmeister am Wittensee, Carl Lambertz, am Niederrhein 1910 geboren, die Realität: Als Ältester von vier Geschwistern, aufgewachsen unter bedrückenden Bedingungen in einem schwierigen Elternhaus, mußte er bald für den Unterhalt der Familie mitsorgen. Das Klavier, auf dem Carl schon als Kind unermüdlich gespielt hatte, wurde verkauft, aber die Traum-Musik, die er vernahm, ließ sich nicht verdrängen. Hingebungsvoll lauschte er einem fernen Klavierspiel, saß stundenlang im Treppenhaus, um versonnen den Tonübungen der Nachbarskinder zu lauschen. Mit Phantasie entwickelte er eigene Musikinstrumente. Der Zehnjährige bespannte Zigarrenkisten und andere hohle Behältnisse mit Drähten und alten Darmsaiten und entlockte ihnen Töne und einfache Tonfolgen. Stundenlang spielte er sie glücklich – für sich.

„Jeder Ton hatte für mich seine eigene Schönheit. Heute weiß ich, es war ein Lauschen in die Urmusik“, erzählte der Maler.

Diese Urmusik, das Lauschen in sie hinein und der Versuch, sie ins Bild umzusetzen, blieb eines seiner Anliegen. Die Musik spielt im Leben und Arbeiten des Künstlers eine große Rolle bis zur Stunde.

Doch zunächst galt es, die Wirklichkeit zu erfassen. Die Auseinandersetzung des gelernten Kirchenmalers mit der „Neuen Sachlichkeit“ der zwanziger und frühen dreißiger Jahre in Düsseldorf bedeutete für Carl Lambertz eine Schule der Exaktheit. Seine Präzision, sein Hang zur formalen Klarheit, zur minutiösen Ausführung haben hier ihren Ursprung.

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Cäcilia, 1954

Während der Akademiezeit malt und zeichnet der Künstler Landschaften, meist aber Figuren, Akte, Köpfe und … Musizierende. So die „Cellospielerin“, eine Rötelzeichnung von 1936/37. „Doch erklang noch nicht die Musik, die in mir war. Und nach dem Krieg – ich überstand ihn als Marinesoldat in Eckernförde – blieb ich in Schleswig-Holstein, in Groß Wittensee und malte eine ‚heile‘ Welt.“

Aber begleitend entstanden doch realistisch-eindringliche graphische Dokumente der Unmenschlichkeit. Die Landschaften von Wittensee schließen sich denen vom Niederrhein an: reizvolle malerische Tafeln – und wieder eine Musik machende „Cäcilia“ von 1954, ein melancholisch-sentimental-starres Klavier spielendes Geschöpf. Das klimpert – mehr nicht.

Diese Lithographie zeigt aber die Hinwendung zur Fläche, die Möglichkeit der Wendung zur Abstraktion. Diese wird vollzogen in seinem „ornamentalen“ Stil, der sich dann später im „geometrischen“ noch steigert. Die ersten „mechanischen“ Musikgruppen entstehen, so die „Musizierenden Figuren“, ein Mörtelplattenbild von 1968, die dann zu den „Musizierenden Engeln„, zum „Engelskonzert“ und zu dem „Mechanischen Sextett“ führen.

„Das war es, nur so kann ich die Musik, die in mir ist, im Bild zum Tönen bringen, das Wesen Klang sichtbar machen, durch stark abstrahierte Verwandlung. Eine Verwandlung der starren Figuren an den Kirmesorgeln meiner rheinischen Heimat, die mich als Junge so beeindruckten…“, so Carl Lambertz.

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Engelskonzert 1969/70

Im „Engelskonzert“ (1969/70), eine kolorierte Radierung, schwebt ein Rotorengel mit Harfe über einem Zwitterding aus Spinett, Drehorgel und Laterna magica, bespielt von einer Engelsmarionette. Ihre Haare und schalartigen Flügel bewegen sich nach der Musik: melancholisch, klingelnd, surrend, übersinnenhaft. Links und rechts trommelt, rummelt und bläst es, scharf, gefährlich, wahrhaft eine Musik aus einer anderen, für den Irdischen nicht ganz ungefährlichen Welt.

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Mechanisches Sextett, 1974

In sechs schmalen gleichhohen Gehäusen steht ein „Mechanisches Sextett“ mit Gitarre, Trompete, Baßgeige, Triangel, Schlagzeug, Saxophon. Alle agieren im surrealen Übermut. Alle verströmen Töne, machen Musik, aber was für eine! Schräge, diagonale – es hupt und tingelt der Betrachter hört Urtöne, wie auch in dem Bild „Vor den Mauern von Jericho“ (um 1975).

„Bei Johann Sebastian Bach höre ich das, was ich sehe und male“, sagt Carl Lambertz, „Aufbau, Ordnung, Gesetzhaftigkeit und Bildform …“

Aber eine Bachsche Musik (wie bei Hans Jaenisch) ist es nicht. Es ist die eines Orff, es sind urtönige Klänge, ein schräger Jazz, ein brüllendes Kreischen, ein Donner, ein Quäken, ein Blasen. Es sind die Ton-Bilder der Moderne überhaupt.

Karl-Heinz Hoyer

In: Festival-Zeitung, Jahrgang 1993, Seite 6 (Sonnabend, 17. Juli 1993); wieder abgedruckt in: Maria Reese, In Bildern drückt sich meine Trauer aus. Abschied von meinem Mann, dem Maler Carl Lambertz, Stuttgart: Radius 200, S. 144 f.

  • Cellospielerin, 1936/37
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