Im Zentrum
Ein Schlüsselbild ist der Siebdruck „Abschied“. Der Magier selbst, im Werk von Carl Lambertz vielgestaltig vorkommend, erhebt sich mit einem fliegenden Stuhl vom sandfarbigen Hügel – ein lichtes, blaues Gehäuse im dunklen violettblauen Grund. Ob Zauberer, Zauberin oder archaische Göttin bleibt allerdings offen, und daß die Armscharniere Brüsten gleichen, ist beim Künstler nicht selten.
Zauberer und Magier, Gaukler und Maschinen bilden eine bedeutende Motivgruppe bei Carl Lambertz. Oft nicht voneinander zu trennen, sind sie hier absurd funktionierende Zwitterwesen aus Ratio und Sinnlosigkeit, geboren aus der Skepsis gegenüber den von ihren Maschinen abhängig gewordenen Menschen. Sie leiten über zu den Zauberern und Verführern – wie in „Majestätisch“ -, auf deren Befehl sie rattern und stampfen oder erstarren, die aber auch selbst ein „Mechanisches Sextett“ zu bilden vermögen.
„Musizierende Engel“, „Engelskonzert“ – die Titel sagen es, daß sie, die Engel, eine besondere Stellung im Werke von Carl Lambertz einnehmen und wichtige Bildinhalte für ihn sind. Sie treten nicht nur als Hauptakteure auf, sie füllen auch als kleine Flugfiguren – häufig variiert – viele Blätter des Künstlers.
Eigenwesen sind die Engel, Geister und Boten für Carl Lambertz. Sie existieren in einer anderen Dimension, in einer autonomen Sphäre, und sind Mittler zwischen hier und dort. Seine ersten Engel, so berichtet der Künstler, waren auf die großen Kirmesorgeln seiner rheinischen Heimat gemalt und für den Jungen von nachhaltigem Eindruck. Daß sie sich durch eine verborgene Mechanik bewegten, verstärkte diese Wirkung. Dazu trat ihr Ausdruck starrer Unberührbarkeit; auf keinen Fall durfte man sich den Figuren nähern. „Auf geheimnisvolle Weise scheinen die Engel unser Schicksal zu lenken, sie erscheinen oft spielerisch, zugleich auch erschreckend.“
Schon als Kind, erzählt Carl Lambertz, hätten ihn die magisch wirkenden Augen der Kirmesfiguren – oft dilettantisch gemalt – fasziniert, ebenso wie ihre mechanische Bewegung. Mit dem Ornamentstil finden sich erste Fühler-Tastformen ein, die von nun an oft im Werk als Zeichen vorkommen. Unverzichtbare Symbole, immer wieder abgewandelt, erscheinen sie als Stengelaugen, Volutenaugen, Fühler, als schwankende, biegsame Tastruten. Vieldeutig, wechselnd, geheimnisvoll ist ihre Funktion; immer aber sind sie beharrliche Beobachter. Ihre Bedeutung, ihr Aussagewert entspricht ihrer Beziehung und ornamentalen Verstrickung im Bildganzen.
Aber die Hauptperson ist der Zauberer. Zauberer sind für Carl Lambertz auch Wächter, Priester oder Scharlatane. Letztere treten naiv, einfältig verspielt und etwas lächerlich auf. Magier, Zauberer, Schamanen, Wächter, mit ihnen meint Carl Lambertz ein Prinzip: sie alle sind Zauberer, die im Beschauer Ahnungen wecken von bisher unvorstellbaren Möglichkeiten. Sie alle wissen um die Schwächen der Menschen: vom kleinen Scharlatan läßt man sich schmunzelnd verführen, vom Priester und Magier beschwören und andere – metaphysische – Bereiche öffnen.
Oft leuchten in den Bildern von Carl Lambertz Augen auf, verfolgend, beobachtend, starr. Augen in Punktformen, als Kreise, Knöpfe, Röhrenenden, konkretisiert als Augen, als Augenformen, als verselbständigte Formen, als Fixpunkte der Aussage, als Haltepunkte der Komposition, als Spannungspunkte der Konzentration: Radarpole in der Aufnahme der Spannungsfelder.
Die Architektur des Bildganzen, das Gebaute, spielt bei Carl Lambertz eine große Rolle. Die Bilder der letzten Jahre besonders sind nach einem strengen Kanon geordnet; er setzt gerne archaische Strukturen als Ordnungshüter ein. Die Formen scheinen oft spielerisch gefunden und gehandhabt – aber er spricht von Schwerarbeit: „Malen ist Schwerarbeit für mich, alles fällt sofort auf, was nicht klar, streng, durchgebildet ist. Nichts darf unklar bleiben.“
Dieses ordnende Spiel macht das Schreckliche, das Bösartige, das Un-Menschliche erträglich. Ertragen läßt es sich mit dem ironischen Lächeln des homo ludens. Er allein vermag das Grauen, die Triebe, die Technik der modernen Zerstörung, die Ängste zu bewältigen und die Welt in eine bewohnbare zu verwandeln. Das intuitive Wissen um diese abgründige Wirklichkeit, seine Erfahrungen und Ahnungen lassen Carl Lambertz sagen:
„Man kann den Menschen nicht ändern. Der Weg, um zu überleben und die Urängste zu bannen, ist für mich die Flucht in die Welt des Traumes, in das Surreale und in das ironische Spiel, in den spielerischen Todernst und in die Ordnung – sie ist mir Gesetz. Die ungeordnete Natur bedeutet für mich Chaos und Bedrohung. Ich muß aus innerem Zwang Ordnung gegen die blinde Grausamkeit der Natur setzen. Mit meinen Waffen, mit Linie, Farbe, Form, Bild, Intuition und Traum, kämpfe ich für den Aufbau von Ordnungen gegen das Chaos. Es ist ein immerwährender Kampf gegen die Dämonen, gegen die Ängste, gegen die Ur-Angst. In der chaotischen Natur ist auch der Mensch eingeschlossen mit seinen Trieben. Triebmenschen sind es, die immer wieder die großen Katastrophen verursachen. Gegen die Aggressivität der chaotischen Welt setze ich das Geordnete, das Gebändigte, in spielerisches Tun Eingebundene. Es ist unterworfen einer Ästhetik, die Humanität vermitteln soll.“
Das Zitat erklärt seine Formenwelt und Antriebe. Die gefährlich triebhafte Natur wird oft in Zauberkästen eingeschlossen und erst geordnet wieder entlassen.
Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 83, 86, 94, 97 ff, 103; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.