Stilleben
Auch in den „Mohnblüten“ (1959) sind Spuren der Messertechnik unverkennbar. Die Blüten, signalhaft als rote Flächen gemalt, sitzen auf einem gerade hochstehenden Stengelbau. Die flächig abgegrenzten Farbschichten des Hinter- und Untergrundes verleihen diesen prismenartigen Charakter.
Weitere Stilleben und figürliche Arbeiten, zumeist Ölbilder, reduziert, karg, entstehen bis 1966. Sie sind ein Höhepunkt im Schaffen des Künstlers, Bilder von seltenem Wohlklang der Farbabstufung. Hier wirkt Carl Lambertz „mit seiner kultivierten Farbigkeit und wohlabgewogenen Komposition … wie ein glücklicher Nachfahre der Nabis“ (Heinz Demisch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30.9.1965 anläßlich einer Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden).
Mit dem Messer gemalt ist auch das Ölbild „Betrunkenes Mädchen“. Eine alte, gebrauchte Leinwand, deren Farbe durch das wiederholte Ab- und Auftragen erhalten blieb, gibt dem Bild den einheitlichen Grundton.
Ähnlich wie in der „Gasse in Antwerpen“ ist Carl Lambertz auch hier von der Farbe angeregt worden. Auf einer Fahrt nach Hamburg, so berichtet der Künstler, habe er einen blauen Farbfleck dicht am Wege leuchten sehen. Dieser entpuppte sich als blauer Wasserkessel, der auf einem Müllhaufen lag. Einzig die Farbe spielte hier – zunächst – eine Rolle, und dann erst bei der Komposition des Bildes wird der alte Kessel auch in seiner geschwungenen Form wichtiges Element.
Hier verbindet sich Stilleben mit figürlichen Darstellungen, „diese werden dann durch ihre statuarische Anordnung selbst zum Stilleben“.
Das gilt auch noch für die neuesten Bilder. Ein Mädchenkopf („Maria“) mit langen dunklen Haaren unter der Hängelampe, im Fensterausschnitt Strand und anbrandendes Meer. Figur, Lampe, Meer, auch der Stuhl sind von zeichenhafter Gelassenheit, in die Fläche eingebunden. Eine Bildtafel von stiller Einheit.
Die Stilleben des Jahres 1965 erreichen erhabene feierliche Größe: z. B. das „Stilleben mit Pfauenfeder“ und das „Stillleben mit Iris“.
Als gebürtiger Rheinländer hat Carl Lambertz französisches Formgefühl. Romanische Clairté spricht aus diesen Werken. Hier … „wohl in verschiedenen Bildebenen verklammert, doch ganz in der Bildfläche ausgebreitet und von sehr diffiziler und transparenter Farbigkeit durchleuchtet, sind Matisse und die École de Paris spürbar“ (Irmgard Schlepps, Einführung zu einer Ausstellung im Kieler Schloß 1971).
Der konsequent eingehaltene Flächenstil und die Neigung zur ornamentalen Gestaltung künden die kommende Stilwandlung an. „Das Stilleben gehört zu meinen bevorzugten Themen, und seine Darstellung kehrt, trotz mancher Wandlung, immer wieder. Stilleben ab 1969 stellen oft Gegenstände und Dinge dar, die es scheinbar in der Natur so nicht gibt, die aber aus subjektivem Empfinden und Erfinden entstehen und zu einer neuen Wirklichkeit mit eigenen Gesetzen werden. Mit der Vorstellung des Stillebens ist es mir möglich, bei Vermeidung der Perspektive, ein Zusammenspiel von Flächen, Farben und Formen zu erreichen.“
Ein treffendes Beispiel für ein Stilleben dieser Art ist der „Spieltisch“, elf Jahre später entstanden. Stilleben, „nature morte„, die tote Natur, die arrangierte, hingestellte – hier mit all den „Spiel“-Dingen der Werke der letzten Jahre: Geometrische Formen, Quadrat, Kreis, Birnenform, Ball, Tastatur, ein mechanischer Kopf, aber auch Zeitung, Faltentuch – alles auf alter Rundtischplatte mit Schnörkelbein für den Beschauer eindimensional in die Bildebene geklappt. Stilleben nennt Carl Lambertz – bis heute – eine ganze Bildergruppe, Stilleben mit Flattertuch, mit Ballon, mit Helikopter, mit Mechanik.
Stilleben jedoch, am Vorbild der alten Meister orientiert, trifft nicht mehr für dieses und für die nach 1969 zu. Galt es bis dahin, die Fläche zurückzugewinnen und streng zu ordnen, sind diese folgenden einer ganz anderen Bilderwelt verhaftet, der des Spiels, des Traumes, der Phantasie, verhaftet einer „neuen Wirklichkeit mit eigenen Gesetzen“. Ihre Bewegung ist eine hintergründige. Der Künstler benutzt hier eine andere Technik, die vorwiegend aus Lasurfarben entwickelt ist.
Der „Tisch des Zauberers“, ein Siebdruck von 1970, eröffnet die Reihe der renitenten Stilleben und ihrer nach innen verlagerten Dynamik, einer gerade noch festgehaltenen Expansion magischer Kräfte.
Und „Das Präsidium“ von 1971 zeigt dazu jene Verbindung – im Stilleben – von surrealen Gegenständen und Figuren, in statuarischer Anordnung, die dann im Gesamtwerk des Künstlers als seine „neue Wirklichkeit mit eigenen Gesetzen“ immer wieder anzutreffen ist.
Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 54, 57, 62, 64; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.