Bubble-Gum-Bilder

Bubble-Gum-Bilder

Ab 1980 malt Carl Lambertz andere Bildhintergründe, die wegführen von der Monochromie der Flächen, weicher, malerischer sind, oft mit glühenden Rotlichtern versetzt, gestreift und gefleckt. Ästhetisch geordnete Landschaften sind es; die Farbe schafft hier Raum in delikaten Abstufungen.

So als stiller Mond oder auch Wolkenhimmel mit versinkendem roten Ball („Der Rufer“) oder dem unheimlich roten ziehenden Sonnenkreis in der „Blechernen Schädeldecke mit Mechanik“, die an die „Phantastische Landschaft“ von 1970 erinnert. Die glühenden und blühenden Farben steigern noch das Entsetzen über die Seelenlosigkeit dieser Endmenschenwelt.

Trotzdem vermitteln diese Hintergründe Kontaktmöglichkeiten, sie schwächen ab und geben sogar Wärme – nach der absoluten Kälte des Lauschers hinter dem Bretterzaun – durch das Ästhetisch-Schöne ihrer Darstellung, ja, auch durch die Wiederaufnahme realistischer Teillandschaften und der Requisiten, die in „Mutter und Tochter Clown“ von Eisbecher, Blattpflanze, Tisch, Wand und Fenster gestellt werden.

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Bubble-Gum-Ballett, 1982/83

Dieser Trend zeichnet sich noch deutlicher ab in den 1982 entstandenen „Bubble-Gum“-Bildern, die sogar mit Wittenseelandschaften ausgestattet sind. Schließt sich hier der Kreis, gibt es hier eine Rückkehr mit anderen Vorzeichen?

Das Land ist verglüht und eingeebnet, strahlenverseucht. Sinnentleert ruft und signalisiert noch immer der mechanische Apparat. Kein Widerhall erfolgt, keine Antwort. Sinnentleert ist auch die Welt. Die malerisch großartigen Farben des Himmels offenbaren die schaurige Schönheit auch der zerstörerischen Kräfte der Natur, die ihren eigenen physikalischen Gesetzen gehorchen müssen.

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Bubble-Gum-Venus, 1982

Es ist Carl Lambertz‘ Furcht, „der Mensch ist tot, die Roboter werden zu Golems, die sich und die Welt zerstören“. Vom Realismus, einem äußerst malerischen, der aus der Tradition niederrheinischer Kunst erwächst, geht der Weg des Künstlers zur Abstraktion, zur ornamentalen Welt mit all ihren Schattierungen, ästhetischen Gebilden und malerischen Hintergründen. Er mündet in die Mechanik, in die Welt der Roboter, der Maschinenmenschen, der Endzeitfigurationen, der Antilandschaften. Wiederum aber erhebt sich hintergründige Realität, die im „Mann hinter dem Zaun“ in Ohr und Brettern sichtbar wird, während Ornamentik (Haar) und Mechanik (Tastatur) die beiden anderen Komponenten bilden.

Die Rückkehr zu einer realeren Hintergrundlandschaft steht im Zusammenhang mit einer neuen Mutation, den „Bubble-Gum“-Formen. Die Maschinenwesen sind zerstört, die harte Mechanik ist aufgeweicht; die Wendung zu den mehr Faßbaren, aber Formlosen, Qualligen, Gleichgültig-Schwammigen zeigt den Deformationsprozeß.

Dennoch gestaltet Carl Lambertz diese Gestaltlosen, die Bubble-Gums, genauso streng wie eh und je, aus der Formaufweichung entstehen neue Formen, die der Architektur des Bildganzen, seinem Kanon, unterworfen sind. „Nichts darf unklar bleiben“, sagt er immer wieder. Rückkehr oder besser: Wiederkehr, aber unter anderen Vorzeichen, eben: Wandlung.

So gibt es jetzt Hintergrundlandschaften, und sie heißen „In den Hüttener Bergen“ oder „Landschaft mit weißer Wolke“. Auf den ersten Blick gleichen sie den Landschaften des Anfangs, doch sind sie sublimer, von einer neuen Transparenz. Der Realismus des Magiers Carl Lambertz zaubert Gehölze, Bäume und Sträucher hervor, die bei näherer Betrachtung zusammengepreßte Bubble-Gums, Kulissenscheiben, sind.

Es gibt bei Carl Lambertz keinen Altersstil. Seine Aussagen, die großen Metaphern, sind in immerwährender Wandlung und wachsen ihm zu wie seine Jahre. Kunst ist ihm Mittel steter Veränderung, auch Möglichkeit, Veränderung dem Bewußtsein zugänglich zu machen.

Carl Lambertz beschreitet den Weg der Ahnungen; die Bildideen kommen ihm zwischen Traum und Tag. Er versenkt sich in frühe Kulturen, archaische Welten, Religionen, irrationale Kunstleistungen – und übernimmt aus ihnen, was er für seine Realisationen brauchen kann. So gelingt ihm die Synthese aus den Zeichen unserer Welt und den Archetypen von Naturvölkern; er schafft Verbindung zwischen dem Vergangenen und der heutigen Industriegesellschaft, schlägt die Brücke von naturverbundener Magie zum Computerzeitalter.

Seine Visionen stammen aus der Vergewaltigung der Natur durch Menschenautomaten, kybernetische Maschinenwesen, deren biologisch-technischen Neuzüchtungen die Zukunft gehört, eine interplanetarische Zukunft, bereit für das letzte Abenteuer des Menschen.

Für ihn ist der Mensch programmiert; Gut und Böse sind die Kräfte, die anziehend und abstoßend ihn in der Gewalt haben. Er kann seinem Schicksal nicht entrinnen. Die Darstellung dieser finsteren Mächte kann man auch bei Bettina von Arnim sehen, die mit kalter Perfektion futuristische Astronautenmonster abbildet. Hier ist von humoriger Verfremdung oder gar Spiel aber nichts zu spüren.

Das kann nicht der Weg sein, den Carl Lambertz – auch ein Ankläger – geht: bei ihm agieren Formen und Farben, ertönen die Posaunen von Jericho, treiben Automatenwesen ernst-heiteren Unsinn auf Bildgründen von ästhetischer Raffinesse, in präziser Ordnung. Wer will behaupten, daß hier Probleme verniedlicht werden?

Auch Lambertz‘ Zeichen tragen Menetekel-Charakter. Schock und Gewalttat in ihrer Direktheit wird man allerdings vergebens in seinen Bildern suchen; er arbeitet hintersinnig, und die Aussagekraft seiner Zeichensprache erschließt sich dem nachdenklichen Betrachter erst nach geduldigem Studium.

Am Anfang wird die Erkenntnis stehen, daß es hier um Kunst geht, nicht um vordergründige Zeitkritik. „Die Ästhetik ist mir wichtig“, sagt Carl Lambertz, „sie ist eine Disziplin zur Vermenschlichung und Läuterung, ein Lernprozeß. Ich setze sie gegen die Aggression, für die Humanität.“ „Diese Wach-Traum-Realisierung ist für mich ein todernstes Problem, ich hole hier noch einmal die Urformen heraus, wie sie eine nicht vergewaltigte Natur haben könnte. Ich klage hier nicht an, ich gebe Symbole für gesellschaftliche Bedrängnis, ich lege einfach den Untergang dar, das ist meine Anklage. Es sind die Probleme des Ausdrückens … dies ist mein Problem.“

Und Carl Lambertz bewältigt es ästhetisch auch im Untergang mit malerischer Delikatesse und sublimem Formgefühl, ein Zauberer in seiner Pinselführung, dessen Phantasie groteske Ungetüme in die wunderbarsten Farben kleidet.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 152 f, 160 ff; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Bubble-Gum-Ballett, 1982/83
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