Monat: Mai 2022

Engel und Geister

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Wittenseer Engel, 1991

Engel und Geister

Engel wurden zum bestimmenden Thema der letzten Jahre. Zwar finden sich schon in den Siebzigern „Musizierende Engel“ und geflügelte Phantasiefiguren. Aber erst mit dem großen Ölbild „Engel und Geister über dem Wittensee“ von 1990 nahmen Engel und Geister – so auch der Titel eines prächtigen Bildbandes – das Atelier endgültig als Bühne in Besitz.

Die wenigsten treten als die bekannten Flügelmenschen-Schablonen auf. Engel sind in ewigem Wandel begriffen. Der Engel ist die Metamorphose. Und so ist es bezeichnend, daß das große Bild nach und nach mehrmals übermalt und verwandelt die jetzige Gestalt gewann. Carl Lambertz‘ Bilder sind ein überzeugender Beleg für die Einsicht, daß wir wahrscheinlich die beste Vorstellung von einem Engel bekommen, wenn wir uns überhaupt kein Bild von ihm machen.

Mit den Engeln im Bunde sind die Geister. Carl Lambertz, der Zauberer und Magier, ruft am liebsten Schutzengel und gute Geister. Diese hat unsere Welt so bitter nötig. Von ihnen sollen sich Betrachter seiner Bilder berühren lassen, bereit zur eigenen Verwandlung.

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Engel begrüßt eine Seele, 1990

Doch eine essentielle Frage für den Künstler bleibt: Wer ist Engel, wer ist Teufel? Carl Lambertz weiß um die ambivalente Ordnung des Schöpfungsplans. Licht und Schatten, Weiß und Schwarz, Gut und Böse, Häßlich und Schön, Liebe und Haß: eine unauflösliche Einheit, Allianz der gottgewollten Harmonie, Yin und Yang, siamesische Zwillinge der kosmischen Balance in unerforschbarem Wandel.

So finden sich in seinem Werk ganz selbstverständlich auch religiöse und keine starr-konfessionellen Themen. Zwar tritt er in hohem Alter aus der katholischen Kirche aus und in die evangelische ein, doch prägen sein Werk und persönliches Leben auch unzweifelhaft Elemente des Buddhismus, die Beschäftigung mit uralten Mythen, Interesse am pluralistischen Zeitgeist und eine unermüdbare kindlich-wache Neugier an nahezu allem einschließlich der Zukunft.

Gynter Mödder

Aus: Die Zeit stand still und verwandelte den Blick, S. 24 ff. Vgl. dazu auch: Engel und Geister. Vorgestellt in Bildern von Carl Lambertz mit Texten von Gynter Mödder, Neumünster: Wachholtz 1991.

  • Wittenseer Engel, 1991

Bubble-Gum-Bilder

Bubble-Gum-Bilder

Ab 1980 malt Carl Lambertz andere Bildhintergründe, die wegführen von der Monochromie der Flächen, weicher, malerischer sind, oft mit glühenden Rotlichtern versetzt, gestreift und gefleckt. Ästhetisch geordnete Landschaften sind es; die Farbe schafft hier Raum in delikaten Abstufungen.

So als stiller Mond oder auch Wolkenhimmel mit versinkendem roten Ball („Der Rufer“) oder dem unheimlich roten ziehenden Sonnenkreis in der „Blechernen Schädeldecke mit Mechanik“, die an die „Phantastische Landschaft“ von 1970 erinnert. Die glühenden und blühenden Farben steigern noch das Entsetzen über die Seelenlosigkeit dieser Endmenschenwelt.

Trotzdem vermitteln diese Hintergründe Kontaktmöglichkeiten, sie schwächen ab und geben sogar Wärme – nach der absoluten Kälte des Lauschers hinter dem Bretterzaun – durch das Ästhetisch-Schöne ihrer Darstellung, ja, auch durch die Wiederaufnahme realistischer Teillandschaften und der Requisiten, die in „Mutter und Tochter Clown“ von Eisbecher, Blattpflanze, Tisch, Wand und Fenster gestellt werden.

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Bubble-Gum-Ballett, 1982/83

Dieser Trend zeichnet sich noch deutlicher ab in den 1982 entstandenen „Bubble-Gum“-Bildern, die sogar mit Wittenseelandschaften ausgestattet sind. Schließt sich hier der Kreis, gibt es hier eine Rückkehr mit anderen Vorzeichen?

Das Land ist verglüht und eingeebnet, strahlenverseucht. Sinnentleert ruft und signalisiert noch immer der mechanische Apparat. Kein Widerhall erfolgt, keine Antwort. Sinnentleert ist auch die Welt. Die malerisch großartigen Farben des Himmels offenbaren die schaurige Schönheit auch der zerstörerischen Kräfte der Natur, die ihren eigenen physikalischen Gesetzen gehorchen müssen.

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Bubble-Gum-Venus, 1982

Es ist Carl Lambertz‘ Furcht, „der Mensch ist tot, die Roboter werden zu Golems, die sich und die Welt zerstören“. Vom Realismus, einem äußerst malerischen, der aus der Tradition niederrheinischer Kunst erwächst, geht der Weg des Künstlers zur Abstraktion, zur ornamentalen Welt mit all ihren Schattierungen, ästhetischen Gebilden und malerischen Hintergründen. Er mündet in die Mechanik, in die Welt der Roboter, der Maschinenmenschen, der Endzeitfigurationen, der Antilandschaften. Wiederum aber erhebt sich hintergründige Realität, die im „Mann hinter dem Zaun“ in Ohr und Brettern sichtbar wird, während Ornamentik (Haar) und Mechanik (Tastatur) die beiden anderen Komponenten bilden.

Die Rückkehr zu einer realeren Hintergrundlandschaft steht im Zusammenhang mit einer neuen Mutation, den „Bubble-Gum“-Formen. Die Maschinenwesen sind zerstört, die harte Mechanik ist aufgeweicht; die Wendung zu den mehr Faßbaren, aber Formlosen, Qualligen, Gleichgültig-Schwammigen zeigt den Deformationsprozeß.

Dennoch gestaltet Carl Lambertz diese Gestaltlosen, die Bubble-Gums, genauso streng wie eh und je, aus der Formaufweichung entstehen neue Formen, die der Architektur des Bildganzen, seinem Kanon, unterworfen sind. „Nichts darf unklar bleiben“, sagt er immer wieder. Rückkehr oder besser: Wiederkehr, aber unter anderen Vorzeichen, eben: Wandlung.

So gibt es jetzt Hintergrundlandschaften, und sie heißen „In den Hüttener Bergen“ oder „Landschaft mit weißer Wolke“. Auf den ersten Blick gleichen sie den Landschaften des Anfangs, doch sind sie sublimer, von einer neuen Transparenz. Der Realismus des Magiers Carl Lambertz zaubert Gehölze, Bäume und Sträucher hervor, die bei näherer Betrachtung zusammengepreßte Bubble-Gums, Kulissenscheiben, sind.

Es gibt bei Carl Lambertz keinen Altersstil. Seine Aussagen, die großen Metaphern, sind in immerwährender Wandlung und wachsen ihm zu wie seine Jahre. Kunst ist ihm Mittel steter Veränderung, auch Möglichkeit, Veränderung dem Bewußtsein zugänglich zu machen.

Carl Lambertz beschreitet den Weg der Ahnungen; die Bildideen kommen ihm zwischen Traum und Tag. Er versenkt sich in frühe Kulturen, archaische Welten, Religionen, irrationale Kunstleistungen – und übernimmt aus ihnen, was er für seine Realisationen brauchen kann. So gelingt ihm die Synthese aus den Zeichen unserer Welt und den Archetypen von Naturvölkern; er schafft Verbindung zwischen dem Vergangenen und der heutigen Industriegesellschaft, schlägt die Brücke von naturverbundener Magie zum Computerzeitalter.

Seine Visionen stammen aus der Vergewaltigung der Natur durch Menschenautomaten, kybernetische Maschinenwesen, deren biologisch-technischen Neuzüchtungen die Zukunft gehört, eine interplanetarische Zukunft, bereit für das letzte Abenteuer des Menschen.

Für ihn ist der Mensch programmiert; Gut und Böse sind die Kräfte, die anziehend und abstoßend ihn in der Gewalt haben. Er kann seinem Schicksal nicht entrinnen. Die Darstellung dieser finsteren Mächte kann man auch bei Bettina von Arnim sehen, die mit kalter Perfektion futuristische Astronautenmonster abbildet. Hier ist von humoriger Verfremdung oder gar Spiel aber nichts zu spüren.

Das kann nicht der Weg sein, den Carl Lambertz – auch ein Ankläger – geht: bei ihm agieren Formen und Farben, ertönen die Posaunen von Jericho, treiben Automatenwesen ernst-heiteren Unsinn auf Bildgründen von ästhetischer Raffinesse, in präziser Ordnung. Wer will behaupten, daß hier Probleme verniedlicht werden?

Auch Lambertz‘ Zeichen tragen Menetekel-Charakter. Schock und Gewalttat in ihrer Direktheit wird man allerdings vergebens in seinen Bildern suchen; er arbeitet hintersinnig, und die Aussagekraft seiner Zeichensprache erschließt sich dem nachdenklichen Betrachter erst nach geduldigem Studium.

Am Anfang wird die Erkenntnis stehen, daß es hier um Kunst geht, nicht um vordergründige Zeitkritik. „Die Ästhetik ist mir wichtig“, sagt Carl Lambertz, „sie ist eine Disziplin zur Vermenschlichung und Läuterung, ein Lernprozeß. Ich setze sie gegen die Aggression, für die Humanität.“ „Diese Wach-Traum-Realisierung ist für mich ein todernstes Problem, ich hole hier noch einmal die Urformen heraus, wie sie eine nicht vergewaltigte Natur haben könnte. Ich klage hier nicht an, ich gebe Symbole für gesellschaftliche Bedrängnis, ich lege einfach den Untergang dar, das ist meine Anklage. Es sind die Probleme des Ausdrückens … dies ist mein Problem.“

Und Carl Lambertz bewältigt es ästhetisch auch im Untergang mit malerischer Delikatesse und sublimem Formgefühl, ein Zauberer in seiner Pinselführung, dessen Phantasie groteske Ungetüme in die wunderbarsten Farben kleidet.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 152 f, 160 ff; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Bubble-Gum-Ballett, 1982/83

Surreales

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Mann hinter dem Zaun, 1979

Surreales

Eine Verbindung zu Richard Lindner besteht, dessen Figuren oft in kompakten Rüstungen stecken, die Gesichter zu Masken erstarrt. Roboter sind seine Telefonierenden, Eilenden, auf den amerikanischen Straßen Hastenden, seine monströsen Lolitas, drallen Leoparden-Lillys und ledergepanzerten Amazonen, deren Brüste ebenfalls kugelig sind, aber keine Scharnierfunktionen besitzen, mit glitzernden Schlangenaugen, roten Mündern gleich Fallen.

Aber Lindner hat eine andere Farbigkeit, seine Farben sind plakativ und poppig. Es ist keine subtile Farbigkeit. Lindner setzt direkt um aus den gesehenen Szenen der Großstadtrealität. Er sexualisiert seine Gestalten, „God Money“ herrscht – amerikanische Realität.

Carl Lambertz entsexualisiert dagegen, steht abseits jeder Illustration in seiner starren Feierlichkeit. Seine mechanisierten Menschen sind zeitloser, aber auch verspielter, auch klassischer – denken wir an den „Mechanisierten Pan„, den Wald- und Weidegott der Griechen.

Carl Lambertz steht gelassener über den Robotern; ein Weltverbesserer zu sein, lehnt er ab. Dennoch bewirkt der Zeitgeist gleiche Umwelterlebnisse, und so kommt es oft zu ähnlichen Ergebnissen. Lindner ist Carl Lambertz verwandt.

Dies gilt auch für Rudolf Hausner, wenn auch sonst kein Weg von Carl Lambertz zu den Phantasten der Wiener Schule führt, d. h. zu Ernst Fuchs, Wolfgang Hutter, Erich Brauer, Anton Lehmden, zu einer versponnenen Mystik von Flora und Fauna, zum Mikrokosmos derer, die ihr abstruses Seelenleben als verbindliche Weltanschauung offerieren. Die lehnt Carl Lambertz ab, „denn sie hieronymus-boschen zuviel …“

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Das große Spiel, 1977

„Ich schätze an Rudolf Hausner seine großartige Technik, den glasklaren, psychorealistischen Stil bei aller Phantastik.“ Es ergibt sich einige Male stilistisch ein nahes Beieinander z. B. der Hintergrundlandschaft „Großes Spiel“ zur kalten Wüstenlandschaft des Analytikers Hausner.

Hausner sagt: „Von den klassischen Surrealisten trennt mich ihr exklusives Interesse am Unterbewußtsein, während mich Ratio und Logik ebenso faszinieren. Die Surrealisten präparieren das Unbewußte aus dem psychischen Zusammenhang heraus … und zeigen damit die eine Hälfte der Wahrheit …“

Carl Lambertz stimmt dem zu: „Ich gehe noch weiter, ich will nichts wissen vom Unbewußten als Dominante, denn jede Gefühlsregung und jeder etwa ausbrechende Automatismus wird sofort in Form gepreßt, in kontrollierte Form.“ 

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Mercedes, 1978

Die Worte von Max Ernst „Wenn die Vernunft schläft, singen die Sirenen“ gelten nicht für Carl Lambertz. Keine Halluzinationen, nicht Träume stehen am Anfang (nach Max Ernst entspringt der Traum dem schlafenden Leib, befreit den Körper aus dem leiblichen Gefängnis und gestattet ihm, in fremde, unverschlossene Bereiche hineinzuschweben). Nein, nicht Halluzinationen und Träume, sondern ungewöhnliche Dinge und Eindrücke sind es, die dann während eines exakten technischen und geistigen Prozesses verarbeitet werden.

Carl Lambertz‘ Welt wirkt magisch, gibt eine unheimliche und manchmal auch amüsante Vereinigung des Wirklichen mit dem Unwirklichen. Das Gefühlte steht dem Konstruierten gegenüber, das Komische dem Erhabenen und auch das Satirische dem Grotesken. Im sensiblen Umgang mit den Ausdrucksmitteln stellen sich die Visionen ein.

Als Künstler, dessen Originalität außer Frage steht, schafft Carl Lambertz zwar in surrealistisch/psychorealistischer Nachbarschaft, aber in einer unverwechselbaren eigenen Handschrift. Er gehört auch zu denen, die im „Aufstand des Objekts … das Vage, Unpräzise, Unkonturierte, Zufällige, das dem Surrealismus anhaftete, beseitigen“.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 134 ff; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Mann hinter dem Zaun, 1979

Mechanischer Stil

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Morgens um Viertel vor Sieben vor meinem Fenster, 1969/70

Mechanischer Stil

Nach den mechanischen Schaubudenfiguren, der Reminiszenz aus seiner Frühzeit, sind es nun die Spielautomaten, die „spielerischen Automaten“, die verstärkt in seinem Werk auftauchen – und aus den ornamentalen Köpfen mechanische Köpfe machen. „Morgens um Viertel vor Sieben vor meinem Fenster“ sind es Soldatenköpfe, Ungeheuer, die vorübermarschieren, mechanisierte Menschen. Die Augen sind als Fühler ausgebildet. Drähte strahlen: die „Apparatschiks“ defilieren. Alle Köpfe vor der Mauer sind gleich geformt und violett – ein tragischer Farbklang, eine unheilkündende Farbgebung. Im grünen Himmel Gaswolke und Flugkörper. Eine erschreckende Vision, geboren aus dem Zustand des Halbwachseins. 

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Abendlandschaft mit Skulpturen, 1976

„Nun stehen sie alle da“, sagt Carl Lambertz zu dieser Tafel, die er „Abendlandschaft mit Skulpturen“ nennt, einem Bild in Ölfarbe. Das Brett, auf dem er es – nach längerer Pause – malte, fand Carl Lambertz im Keller der Kunsthalle Kiel; die Maserung inspirierte ihn. 

Er konzipierte auf dieser Platte einige Bilder. Sie entsprachen lange nicht seiner inneren Idee. Er schabte sie ab, versuchte es wieder. Dann nahmen seine früheren Träume allmählich Gestalt an: archaische Grabbeigaben, Kleinplastiken, Rudimente, Scheiben, alle stehen in einer weiten Landschaft wie Treibgut. Ein Treibgut, wie es der bretonische Surrealist und Geschichtenerzähler Yves Tanguy an einem mystischen Strand sah und zu Bildern werden ließ.

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Mechanisierter Pan, 1977/78

Hier nun entsteht eine Räumlichkeit ohne Ende. Die Maserung des Holzes ist der Himmel. Eine Figur hat Flügel, ein mechanischer Arm signalisiert. Der mechanisierte Kopf (Transmissionskopf) rechts kündet die folgenden Tafeln an, besonders „Doppelkopf“, „Das Große Spiel“, „Kopf mit Flattertuch“, wie auch das frühere Bild „Majestätisch„, das die kalte, kalkulierte Welt der Roboter vorwegnimmt.

„Realisierung weiter Ahnungen“ ist Carl Lambertz‘ Auftrag, und er regiert Spiel und Konstruktion, Intuition, Anfang und Ende. Morbidität steckt in dieser Imagination. Entartung symbolisiert auch die Figur mit den aufgeblasenen Gliedern im Mittelgrund. Einige sparsam eingesetzte Farblichter füngieren als Spannungspole und Drehmomente.

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Mann im Kasten, 1979

Im „Mechanisierten Pan“ wird ein Hirtengott zum Automaten, im „Mann hinter dem Zaun“ der gesichtslose Maschinenmensch zur Schreckensvision.

Roboter werden in Antilandschaften geboren, sitzen in Kästen, von Transmissionen geleitet. Oder weibliche Halbfiguren werden umgeformt und erinnern an Sexualmechanismen; anthropomorphe Kreaturen, Köpfe, diese Endzeitwesen stehen vor indifferenten, kaum strukturierten, aber immer altmeisterlich lasierten Hintergrundflächen und geben in scharfen Konturen das Bild einer gründlich zerstörten Menschenwelt – rücksichtslos, kontaktlos.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 115, 117, 152; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Morgens um viertel vor Sieben vor meinem Fenster, 1969/70

Im Zentrum

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Abschied, 1970

Im Zentrum

Ein Schlüsselbild ist der Siebdruck „Abschied“. Der Magier selbst, im Werk von Carl Lambertz vielgestaltig vorkommend, erhebt sich mit einem fliegenden Stuhl vom sandfarbigen Hügel – ein lichtes, blaues Gehäuse im dunklen violettblauen Grund. Ob Zauberer, Zauberin oder archaische Göttin bleibt allerdings offen, und daß die Armscharniere Brüsten gleichen, ist beim Künstler nicht selten.

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Majestätisch, 1970

Zauberer und Magier, Gaukler und Maschinen bilden eine bedeutende Motivgruppe bei Carl Lambertz. Oft nicht voneinander zu trennen, sind sie hier absurd funktionierende Zwitterwesen aus Ratio und Sinnlosigkeit, geboren aus der Skepsis gegenüber den von ihren Maschinen abhängig gewordenen Menschen. Sie leiten über zu den Zauberern und Verführern – wie in „Majestätisch“ -, auf deren Befehl sie rattern und stampfen oder erstarren, die aber auch selbst ein „Mechanisches Sextett“ zu bilden vermögen.

„Musizierende Engel“, „Engelskonzert“ – die Titel sagen es, daß sie, die Engel, eine besondere Stellung im Werke von Carl Lambertz einnehmen und wichtige Bildinhalte für ihn sind. Sie treten nicht nur als Hauptakteure auf, sie füllen auch als kleine Flugfiguren – häufig variiert – viele Blätter des Künstlers.

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Musizierende Engel, 1969

Eigenwesen sind die Engel, Geister und Boten für Carl Lambertz. Sie existieren in einer anderen Dimension, in einer autonomen Sphäre, und sind Mittler zwischen hier und dort. Seine ersten Engel, so berichtet der Künstler, waren auf die großen Kirmesorgeln seiner rheinischen Heimat gemalt und für den Jungen von nachhaltigem Eindruck. Daß sie sich durch eine verborgene Mechanik bewegten, verstärkte diese Wirkung. Dazu trat ihr Ausdruck starrer Unberührbarkeit; auf keinen Fall durfte man sich den Figuren nähern. „Auf geheimnisvolle Weise scheinen die Engel unser Schicksal zu lenken, sie erscheinen oft spielerisch, zugleich auch erschreckend.“

Schon als Kind, erzählt Carl Lambertz, hätten ihn die magisch wirkenden Augen der Kirmesfiguren – oft dilettantisch gemalt – fasziniert, ebenso wie ihre mechanische Bewegung. Mit dem Ornamentstil finden sich erste Fühler-Tastformen ein, die von nun an oft im Werk als Zeichen vorkommen. Unverzichtbare Symbole, immer wieder abgewandelt, erscheinen sie als Stengelaugen, Volutenaugen, Fühler, als schwankende, biegsame Tastruten. Vieldeutig, wechselnd, geheimnisvoll ist ihre Funktion; immer aber sind sie beharrliche Beobachter. Ihre Bedeutung, ihr Aussagewert entspricht ihrer Beziehung und ornamentalen Verstrickung im Bildganzen.

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Der große Zauberer Merlin, 1994

Aber die Hauptperson ist der Zauberer. Zauberer sind für Carl Lambertz auch Wächter, Priester oder Scharlatane. Letztere treten naiv, einfältig verspielt und etwas lächerlich auf. Magier, Zauberer, Schamanen, Wächter, mit ihnen meint Carl Lambertz ein Prinzip: sie alle sind Zauberer, die im Beschauer Ahnungen wecken von bisher unvorstellbaren Möglichkeiten. Sie alle wissen um die Schwächen der Menschen: vom kleinen Scharlatan läßt man sich schmunzelnd verführen, vom Priester und Magier beschwören und andere – metaphysische – Bereiche öffnen.

Oft leuchten in den Bildern von Carl Lambertz Augen auf, verfolgend, beobachtend, starr. Augen in Punktformen, als Kreise, Knöpfe, Röhrenenden, konkretisiert als Augen, als Augenformen, als verselbständigte Formen, als Fixpunkte der Aussage, als Haltepunkte der Komposition, als Spannungspunkte der Konzentration: Radarpole in der Aufnahme der Spannungsfelder.

Die Architektur des Bildganzen, das Gebaute, spielt bei Carl Lambertz eine große Rolle. Die Bilder der letzten Jahre besonders sind nach einem strengen Kanon geordnet; er setzt gerne archaische Strukturen als Ordnungshüter ein. Die Formen scheinen oft spielerisch gefunden und gehandhabt – aber er spricht von Schwerarbeit: „Malen ist Schwerarbeit für mich, alles fällt sofort auf, was nicht klar, streng, durchgebildet ist. Nichts darf unklar bleiben.“

Dieses ordnende Spiel macht das Schreckliche, das Bösartige, das Un-Menschliche erträglich. Ertragen läßt es sich mit dem ironischen Lächeln des homo ludens. Er allein vermag das Grauen, die Triebe, die Technik der modernen Zerstörung, die Ängste zu bewältigen und die Welt in eine bewohnbare zu verwandeln. Das intuitive Wissen um diese abgründige Wirklichkeit, seine Erfahrungen und Ahnungen lassen Carl Lambertz sagen:

„Man kann den Menschen nicht ändern. Der Weg, um zu überleben und die Urängste zu bannen, ist für mich die Flucht in die Welt des Traumes, in das Surreale und in das ironische Spiel, in den spielerischen Todernst und in die Ordnung – sie ist mir Gesetz. Die ungeordnete Natur bedeutet für mich Chaos und Bedrohung. Ich muß aus innerem Zwang Ordnung gegen die blinde Grausamkeit der Natur setzen. Mit meinen Waffen, mit Linie, Farbe, Form, Bild, Intuition und Traum, kämpfe ich für den Aufbau von Ordnungen gegen das Chaos. Es ist ein immerwährender Kampf gegen die Dämonen, gegen die Ängste, gegen die Ur-Angst. In der chaotischen Natur ist auch der Mensch eingeschlossen mit seinen Trieben. Triebmenschen sind es, die immer wieder die großen Katastrophen verursachen. Gegen die Aggressivität der chaotischen Welt setze ich das Geordnete, das Gebändigte, in spielerisches Tun Eingebundene. Es ist unterworfen einer Ästhetik, die Humanität vermitteln soll.“

Das Zitat erklärt seine Formenwelt und Antriebe. Die gefährlich triebhafte Natur wird oft in Zauberkästen eingeschlossen und erst geordnet wieder entlassen. 

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 83, 86, 94, 97 ff, 103; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Abschied, 1970

Ornamentaler Stil

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Die Familie des Horus, 1962

Ornamentaler Stil

Die Wendung zum „ornamentalen“ Stil hatte sich angekündigt. Vorbote inmitten der großen realistisch-geometrischen Stilleben ist ein seltsames Bild, wieder eines der Schlüsselbilder: „Die Familie des Horus“.

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Drei Figuren, 1963

Durch eine Auffächerung geometrischer Formen – in gröberem Farbauftrag mit leichten Einkratzungen – entsteht der Eindruck einer Flachreliefform. Hier werden ägyptische Götterstatuen assoziiert, der falkenköpfige Horus. Der Titel gibt Hinweise. Stilelemente des Surrealismus, der Konstruktivisten, Kandinsky, Klee – das alles mag hier geistern, hat aber nur als künstlerisches Erbe Bedeutung. Entscheidend ist die Entwicklung einer eigenen unverwechselbaren Sprache, der Sprache seiner Bildhieroglyphen, hier mit lyrischem Klang.

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Flugfiguren, 1969

Dieses Bild leitet direkt zu den folgenden Arbeiten über, den „Drei Figuren“, ein Jahr später, 1963 entstanden, und ist im engen Zusammenhang mit der „Familie des Horus“ zu sehen. Eine transparente Flächenkonstruktion in dreigeteiltem Aufbau, deren spitzwinklige Dreiecke und Pyramiden von Linienwerk gehalten werden. Im oberen Bildteil erscheinen Kopfformen mit Augenfühlern; sie deuten auf die späteren ornamentalen Köpfe hin. Oben rechts ist ein mittelmeerisches Idol mit Doppelhorn zu sehen – „Statuen geheimnisvoller Geister“, sagt Carl Lambertz.

 
 

Der ornamentale Flächenstil stellt die entscheidende Wende im Schaffen von Carl Lambertz dar. Es entsteht 1969/70 eine Anzahl kolorierter Zinkätzungen wie die „Flugfiguren“. Carl Lambertz sagt zu diesem Bild: „Träume gehen in archaische Welten zurück. Bei den Figuren habe ich an Tiergötter an den Wänden alter Tempel gedacht.“

 
 

Klarer, statischer, konsequenter in der Darstellung einer mechanisierten Welt sind die „Seifenblasenfabrik“ und „Flugfiguren“. „Das könnten“, schreibt Hans H. Henseleit, „Kapitelüberschriften für ein exklusives Bilderbuch sein, und wie einzelne Seiten daraus präsentiert sich in exotisch bunten Farben eine reale Welt, symbolistisch verformt und von einer Heiterkeit durchzogen, die die skurrile Zeichensprache auf Anhieb verständlich und liebenswert macht.“ (Kieler Nachrichten vom 29.11.1969)

Nicht mehr das unmittelbare Erlebnis ist Ausgang für die Gestaltung, sondern Phantasie, Spieltrieb, Traum, Konstruktion, mechanische Ornamentik, die zur existenten Wirklichkeit werden. Flächenhaft, zweidimensional tauchen sie hier auf, die Köpfe mit den Fühleraugen, die ornamentalen Köpfe – ganz deutlich dann in der Zinkätzung „Musizierende Engel“ desselben Jahres.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 72 f, 76, 78; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Die Familie des Horus, 1961

Stillleben

Stilleben

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Mohnblüten, 1959

Auch in den „Mohnblüten“ (1959) sind Spuren der Messertechnik unverkennbar. Die Blüten, signalhaft als rote Flächen gemalt, sitzen auf einem gerade hochstehenden Stengelbau. Die flächig abgegrenzten Farbschichten des Hinter- und Untergrundes verleihen diesen prismenartigen Charakter.

Weitere Stilleben und figürliche Arbeiten, zumeist Ölbilder, reduziert, karg, entstehen bis 1966. Sie sind ein Höhepunkt im Schaffen des Künstlers, Bilder von seltenem Wohlklang der Farbabstufung. Hier wirkt Carl Lambertz „mit seiner kultivierten Farbigkeit und wohlabgewogenen Komposition … wie ein glücklicher Nachfahre der Nabis“ (Heinz Demisch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30.9.1965 anläßlich einer Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden).

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Spieltisch 1976/77

Mit dem Messer gemalt ist auch das Ölbild „Betrunkenes Mädchen“. Eine alte, gebrauchte Leinwand, deren Farbe durch das wiederholte Ab- und Auftragen erhalten blieb, gibt dem Bild den einheitlichen Grundton.

Ähnlich wie in der „Gasse in Antwerpen“ ist Carl Lambertz auch hier von der Farbe angeregt worden. Auf einer Fahrt nach Hamburg, so berichtet der Künstler, habe er einen blauen Farbfleck dicht am Wege leuchten sehen. Dieser entpuppte sich als blauer Wasserkessel, der auf einem Müllhaufen lag. Einzig die Farbe spielte hier – zunächst – eine Rolle, und dann erst bei der Komposition des Bildes wird der alte Kessel auch in seiner geschwungenen Form wichtiges Element.

Hier verbindet sich Stilleben mit figürlichen Darstellungen, „diese werden dann durch ihre statuarische Anordnung selbst zum Stilleben“.

Das gilt auch noch für die neuesten Bilder. Ein Mädchenkopf („Maria“) mit langen dunklen Haaren unter der Hängelampe, im Fensterausschnitt Strand und anbrandendes Meer. Figur, Lampe, Meer, auch der Stuhl sind von zeichenhafter Gelassenheit, in die Fläche eingebunden. Eine Bildtafel von stiller Einheit.

Die Stilleben des Jahres 1965 erreichen erhabene feierliche Größe: z. B. das „Stilleben mit Pfauenfeder“ und das „Stillleben mit Iris“.

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Tisch des Zauberers, 1970

Als gebürtiger Rheinländer hat Carl Lambertz französisches Formgefühl. Romanische Clairté spricht aus diesen Werken. Hier … „wohl in verschiedenen Bildebenen verklammert, doch ganz in der Bildfläche ausgebreitet und von sehr diffiziler und transparenter Farbigkeit durchleuchtet, sind Matisse und die École de Paris spürbar“ (Irmgard Schlepps, Einführung zu einer Ausstellung im Kieler Schloß 1971).

Der konsequent eingehaltene Flächenstil und die Neigung zur ornamentalen Gestaltung künden die kommende Stilwandlung an. „Das Stilleben gehört zu meinen bevorzugten Themen, und seine Darstellung kehrt, trotz mancher Wandlung, immer wieder. Stilleben ab 1969 stellen oft Gegenstände und Dinge dar, die es scheinbar in der Natur so nicht gibt, die aber aus subjektivem Empfinden und Erfinden entstehen und zu einer neuen Wirklichkeit mit eigenen Gesetzen werden. Mit der Vorstellung des Stillebens ist es mir möglich, bei Vermeidung der Perspektive, ein Zusammenspiel von Flächen, Farben und Formen zu erreichen.“

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Das Präsidium, 1971

Ein treffendes Beispiel für ein Stilleben dieser Art ist der „Spieltisch“, elf Jahre später entstanden. Stilleben, „nature morte„, die tote Natur, die arrangierte, hingestellte – hier mit all den „Spiel“-Dingen der Werke der letzten Jahre: Geometrische Formen, Quadrat, Kreis, Birnenform, Ball, Tastatur, ein mechanischer Kopf, aber auch Zeitung, Faltentuch – alles auf alter Rundtischplatte mit Schnörkelbein für den Beschauer eindimensional in die Bildebene geklappt. Stilleben nennt Carl Lambertz – bis heute – eine ganze Bildergruppe, Stilleben mit Flattertuch, mit Ballon, mit Helikopter, mit Mechanik.

Stilleben jedoch, am Vorbild der alten Meister orientiert, trifft nicht mehr für dieses und für die nach 1969 zu. Galt es bis dahin, die Fläche zurückzugewinnen und streng zu ordnen, sind diese folgenden einer ganz anderen Bilderwelt verhaftet, der des Spiels, des Traumes, der Phantasie, verhaftet einer „neuen Wirklichkeit mit eigenen Gesetzen“. Ihre Bewegung ist eine hintergründige. Der Künstler benutzt hier eine andere Technik, die vorwiegend aus Lasurfarben entwickelt ist.

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Altarbild in der Kapelle des Martinshauses Rendsburg

Der „Tisch des Zauberers“, ein Siebdruck von 1970, eröffnet die Reihe der renitenten Stilleben und ihrer nach innen verlagerten Dynamik, einer gerade noch festgehaltenen Expansion magischer Kräfte.

Und „Das Präsidium“ von 1971 zeigt dazu jene Verbindung – im Stilleben – von surrealen Gegenständen und Figuren, in statuarischer Anordnung, die dann im Gesamtwerk des Künstlers als seine „neue Wirklichkeit mit eigenen Gesetzen“ immer wieder anzutreffen ist.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 54, 57, 62, 64; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Mohnblüten, 1959

Reiseeindrücke

Reiseeindrücke

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Jugoslawien, 1949

Eine frühe abenteuerliche Reise nach Jugoslawien 1949 schlägt sich in Zeichnungen und Ölbildern nieder. In ihnen dominiert wieder die Ordnung und Strenge des Lambertzschen Bildauf­baus und die Einfachheit der Bildvorwürfe: Frauen mit Obst­körben, Architekturen, Gassen, Gebäude.

Geblendet von der weißen Sonne, berauscht vom Süden, von der Klarheit der Kontraste, versucht Carl Lambertz draußen vor der Natur zu malen. Ein verzweifelter Kampf, der nicht gelingt: die Farben sind zu grell, die Momente zu flüchtig, der Aufenthalt ist zu kurz. Diese Bemühung verhilft ihm immerhin zu der grund­sätzlichen Erkenntnis, daß eine andere, neue Wahrheit nur aus der veränderten Wirklichkeit zu gewinnen ist. „Ein Malen ohne Nachdenken – Fleiß allein nützt nichts -, das geht für mich nicht.“

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Überfahrt, 1952

Das Schaffen aus der Vorstellung, aus dem Gedächtnis, die spätere Realisation seiner Eindrücke im Atelier, lassen ihn die besten Bilder machen. Und so entstehen auch wenige mehr tonige Allegorien wie z. B. „Überfahrt“.

Auf der Spanienreise von 1952 – sie führt von Nordfrankreich über die Provence bis nach Barcelona – malt Carl Lambertz nicht mehr vor der Natur. Zuviel Neues, Fremdartiges wirkt auf ihn ein; daneben genießt er den hellen, warmen Süden.

In Barcelona erlebt er katalanische Romanik, sieht eine erhabene Reihung gotischer Kruzifixe – tief betroffen von großer Kunst, von menschlicher Größe und Grausamkeit. Archaische Idole, iberische expressive Plastik, antike Gebrauchsgegenstände aus Ampurias, im Museum von Gerona, reizen den Künstler zum Nachbilden und Abwandeln, auch zum plastischen Formen – später, in der Stille des Ateliers.

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Spanische Netzflickerinnen, um 1950

Die spanische Reise verfestigt noch die Bildstruktur. Hier schlägt sich das klassische Erlebnis mittelmeerischen Lichtes und kubisch-strenger Architekturschachtelungen nieder.

Bei Picasso war es die Jugenderfahrung des Spaniers, die später zum Kubismus führte; bei Carl Lambertz ist Rückführung auf einfache Formen oberstes Prinzip, Ausdruck seiner Suche nach der „geometrischen Ordnung“.

„Spanische Netzflickerinnen“ sitzen als Silhouetten vor dem hellen Hintergrund; die Boote im oberen Rand sind rhythmisch gereiht. Deutlich ist die Fläche in Vordergrund, Mittel- und Hintergrund geschichtet und dabei die Bildeinheit gewahrt worden. Die Farben sind verhalten und stützen die Räche.

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„Der erste Hafen war Antwerpen, ich nutzte den Aufenthalt von einigen Stunden und bummelte umher, das Skizzenbuch in der Tasche. In einer Gasse entdeckte ich plötzlich diese beiden Häuser in den Komplementärfarben Rot und Grün. Sie faszinierten mich. Es war ein unmittelbares Farberlebnis. Hinzu kam das Milieu mit den wartenden Mädchen in der Nähe einer Kirche. Ich machte eine Bleistiftskizze, die ich später für dieses Ölbild verwandte.“ Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 54.

Flächigkeit, „Flächenspiele“, waren für Carl Lambertz damals die Möglichkeit, den Weg zur Abstraktion, zur Vereinfachung zu gehen.

Seit 1949 versucht sich Carl Lambertz auch in der Technik der Lithographie. Zaghafte Versuche sind es, zunächst nur ein Ausprobieren der neuen Technik. Ein »Reiher« als erster Versuch, dem „Schwäne“ folgen. Andere Blätter wie „Cäcilia“ oder „Zwei Frauen mit Petroleumlampe“ zeigen melancholische, starre Geschöpfe in einer Art und Motiven, die Experiment und Suche sind.

Carl Lambertz erzählt von dem Bild „Gasse in Antwerpen“ (1958), daß es auf einer Reise in den Orient – ein Stipendium des Schiffsreeders Konsul Entz aus Rendsburg – entstanden sei:

„Zur Technik sei gesagt: es ist mit dem Messer gemalt, einem elastischen Malmesser, das an einer Seite angeschrägt wurde. Ich verwandte Tubenölfarbe, die ich mit trockenem Farb­pigment eindickte und so eine zum breiten Auftrag geeignete Substanz erhielt. Die aufgespachtelte Farbe habe ich dann mit dem Messer immer wieder abgetragen, dann neue Farbe über­gelegt und wieder abgekratzt, so daß zartfarbige Schichten entstanden. Ich möchte diese Malweise deshalb nicht als die übliche sogenannte Spachtelmalerei bezeichnet wissen. In dieser Technik habe ich eine ganze Reihe Bilder gemalt.“

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 44, 46, 54; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder.

  • Jugoslawien, 1949

Landschaften

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Mondlandschaft, 1945

Landschaften

Düsseldorf war zerstört, sein Atelier abgebrannt. An den Wittensee zog es ihn, seit er mit seinem Düsseldorfer Akademielehrer Professor Schmurr diese Landschaft zum ersten Mal bereist hatte.

Dann malte Carl Lambertz Wittenseelandschaften und konnte sie auch hier und da verkaufen, was er auch mußte, um sein Haus bauen zu können, denn Arbeitskräfte und Baumaterialien waren zu bezahlen.

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Die Reetdecker, 1946

Carl Lambertz erzählt: „Das Grundstück war eine Weide, ich pflanzte Obstbäume, bearbeitete den Boden und zog selbst mein Gemüse. Aus den vergangenen Erfahrungen und Erlebnissen und auch aus romantischen Vorstellungen heraus wollte ich autark sein. Aber bei all dieser Schufterei blieb es meine Sehnsucht, Bilder zu malen.“

Um gute und ehrliche Bilder zu malen, hielt Carl Lambertz sich oft in der Landschaft auf. Sie wurden dann später im Atelier vollendet oder nach Skizzen neu gemalt. So war es ihm möglich, Niederrheinatmosphäre, Erinnerungen an die Heimat, mit der hiesigen Landschaft zu vermählen. Bilder von besonderem Reiz entstanden.

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Phantastische Landschaft, 1970

Carl Lambertz bezeichnet sich gelegentlich als „niederrheinischer Bauer“: groß, schwer, kräftig, jedoch auch mit jener federnden bärenhaften Behändigkeit und Leichtigkeit von Menschen ausgestattet, die die Landschaft am Niederrhein hervorbringt. Eine Landschaft von liebenswürdigem französisch-pariserischem Flair, deren feuchte Luft weiche Farbtönungen hervorbringt.

Ähnliches entdeckt Carl Lambertz m den Küstenlandschaften Schleswig-Holsteins wieder, nur härter, klarer, spröder. Hier findet er auch Einsamkeit und kann nach den Jahren des Schreckens zu sich kommen. „In meiner Einsamkeit am Wittensee, hier male ich Bilder und sehe Dinge, die ich am Niederrhein nicht gemalt und gesehen hätte … dieses Spökenkiekerland ist mein Land …“, sagte Carl Lambertz einmal.

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Der zerstörte Regenbogen, 1978/79

Und aus dem fast naiven, immer schöpferischen „Bauernburschen“ mit seinen starken sozialen Ambitionen wurde Carl Lambertz, dessen Komplexität, dessen faszinierender Mischung von Exaktheit und formaler Strenge aus hintergründigem Humor und bedrohlichem Spiel als Bildner übersinnenhafter Ereignisse und Erscheinungen hier nachgegangen werden soll. Eben diese Landschaft Schleswig-Holsteins, in die er vom Niederrhein überwechselte, inspiriert ihn dazu. Oft wird sie noch sichtbar, im „Zerstörten Regenbogen“, ebenso wie in der „Phantastischen Landschaft“, in „Weiße Blechlandschaft“ und in einem seiner letzten Bilder, in der „Landschaft mit weißer Wolke“.

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Landschaft mit weißer Wolke, 1981

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 26, 35, 39 f; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Bilder. Weitere Landschaftsbilder in: Landschaften-Ansichten. Bilder von Maria Reese und Carl Lambertz. Text: Gynter Mödder, Rendsburg: Claudius Kraft 1982.

  • Mondlandschaft, 1945

Experimente

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Ehrabschneider 1945/46

Experimente

Über den Zeichnungen „Unterm Kreuz„, „Mord“ und anderen verebbt langsam die Erregung – vergessen jedoch waren die Bilder des Schreckens, die Bilder einer erlittenen Wirklichkeit des Terrors und der Folter nie. Carl Lambertz knüpfte da wieder an die Akademiezeit an.

Die künstlerisch-technische Meisterschaft dieser Arbeiten seit 1945 ist nicht mehr zu übersehen. Parallel zu den mehr herkömmlichen Landschaftsmalereien und Zeichnungen – Carl Lambertz illustrierte gerade ein Robinson-Crusoe-Buch – beginnen jetzt künstlerische Experimente. Die Zeit des Suchens bricht spät über den fast 40jährigen Künstler herein:

„Ich hatte ja eine ganze Menge Zeit verloren, wie so viele, durch die schwierigen und bösen Jahre und ihre Behinderungen, die mich erst spät zur Akademie gehen ließen, durch meine Haft und Überwachung und den Wehrdienst. Jetzt begann ich zu experimentieren und zu suchen nach meinem Ausdruck, von dem ich im Augenblick damals nur wußte: dies, was du jetzt machst, ist es nicht, hier darfst du nicht stehenbleiben. Du bist kein Heimat- und Landschaftsmaler.

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Hoffart 1945/46

Erfolg hatte ich mit diesen Landschaften, sie verkauften sich gut – über den Düsseldorfer Kunstverein -, meist in der Umgebung. Es waren die bedrückenden Jahre nach dem Kriege, als Essen und Trinken die Hauptsache war. An Kunst und ans große Bilderkaufen dachte kaum jemand. Schon gar nicht hier in dem damals noch viel stärker bäuerlich geprägten Schleswig-Holstein. Meine Bilderverkäufe waren Ausnahmen, und es lag wohl auch daran, daß alles so schön deutlich dargestellt war, es gefiel eben den Leuten.“

Carl Lambertz vollzog unter großen Mühen seinen Hausbau, „um eine Bleibe, ein Atelier zu haben, damit ich arbeiten konnte“. Ein langwieriges Unternehmen. Fundamentsteine wurden aus dem Wittensee geborgen; Zement holte er mit dem Fahrrad aus Itzehoe, gegen Bilder von einem kunstsinnigen Direktor eingehandelt. Rückblickend erweist sich dieser Hausbau von größter, ungeahnter Wichtigkeit. Er ist die Grundlage für seine Unabhängigkeit. Carl Lambertz erzählt weiter:

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Völlerei, 1945/46

„… dies gab mir die Freiheit des Schaffens, des Handelns. Dieses Schleswig-Holstein ist kein leichtes Land für einen Künstler. Als Künstler hieß es hier damals stärker noch als heute, entweder vor die Hunde zu gehen oder still vor sich hin zu malen hinter den Knicks und sich einzubilden: ich bin der Allergrößte … Das mußte man, um überleben zu können – in einer schönen Landschaft, die ich liebe, die mich an meine niederrheinische Heimat und Kindheit erinnert … Aber eben auch in einem Lande, in dem es die Kunst noch schwerer hat als anderswo.“

Glücklicherweise vermag Carl Lambertz existentiell zu denken und auch zu arbeiten. Er scheut sich nicht, Steine zu holen, Fundamente zu legen, Hauswände zu mauern und legt damit den Grund für seine Unabhängigkeit, die 1973 durch den Atelier- und Ausstellungsbau endgültig Wirklichkeit wurde. „Unabhängig auch vom Kunsthandel lebe ich seither einigermaßen ohne Sorgen, und dies ermöglichte es mir, all das zu malen, was seit 1969 entstanden ist.“

Es war ein langsamer Befreiungsprozeß, in dessen Verlauf sich sein künstlerisches Anliegen immer klarer offenbarte und potenziert verwirklichte. Experimente, tastende Versuche: es wird gezeichnet, entworfen, verworfen und wieder begonnen – die Zeit des Suchens führte auch auf Irrwege, in Sackgassen. Da finden sich auch allegorische Blätter, düster mit verschleierten Frauen und nebelhaften Architekturen im schwingenden Stil.

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Lügen haben kurze Beine, 1945/46

Die weiß gehöhten Kreidezeichnungen wie „Ehrabschneider“ und „Hoffart“ und „Völlerei“ zeigen den eindringlichen Realismus der Zeichnungen von 1945/46. Er trägt gesellschaftskritische Züge. Die Physiognomik aber weist ins Zukünftige.

Ebenfalls in die Jahre 1945/46 fällt die aquarellierte Kreidezeichnung „Lügen haben kurze Beine“. Eine erste, halbmechanische Puppenfigur taucht auf, Vorläuferin der Maschinen- und Automatenwesen der siebziger Jahre.

Aus: Karl-Heinz Hoyer, Carl Lambertz, S. 40, 42, 44.

  • Ehrabschneider, 1945-46
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